Die Schweizer Pferdeszene stellt sich auf die Hinterbeine. Die Online-Petition von Fairness für die Schweizer Pferdebranche marschiert nicht einmal 24 Stunden nach der Lancierung stramm auf 3500 Unterschriften zu. “Kavallo”, das Schweizer Pferdemagazin, lancierte am 23. April eine Online-Petition und fordert finanzielle Unterstützung für Reitschulen sowie Gleichbehandlung des Reitsports mit anderen, kontaktarmen Sportarten.
“So ein Bisschen Pferdefutter kann ja nicht so teuer sein”, denkt sich wohl der Bundesrat. Dabei sind Reitschulen Unternehmen mit Infrastruktur, Mitarbeitenden, Auszubildenden, Sozialabgaben, Versicherungen und wirtschaftlichen Rücklagen und Investitions-Amortisationen. Während in anderen Branchen Konkurse durch finanzielle Unterstützung vermieden werden, tragen die Reitbetriebe diese Kosten selbst und sind nach wochenlanger Schliessung nun akut von Konkursen bedroht. Sollte ein signifikanter Teil der Reitschulen Konkurs anmelden, fehlen mittelfristig viele gut ausgebildete Schulpferde, auf welchen der Sportnachwuchs sich seine Sporen verdienen könnte. Für eine Nation, die zwei Springreiter auf dem ersten und zweiten Platz der Weltrangliste hat, ein Armutszeugnis.
1500.- pro Monat und Pferd
Soviel kostet ein gut betreutes und ausgebildetes Schulpferd. Die Kosten schlüsseln sich folgendermassen auf: Futter 150.-, Mistentsorgung 30.-, Hufschmied 100.-, Tierarzt 20.-, Personalkosten für Betreuen, Füttern, Misten, auf die Weide bringen 450.-, Bewegen und Arbeiten der Pferde 375.- (Mischrechnung Lehrlingslohn/Mitarbeiter), Infrastrukturkosten (Boxen, Halle, Plätze, Strom, Wasser) 200.-, Abschreibung Reitschulpferd 125.-, Diverses wie Aufwand Sattelzeug, Zinsen, Steuern 35.-, ergibt ein Total von rund 1500 Franken. Diese Kosten lassen sich aus tierschutzrechtlichen Gründen kaum kürzen, auch Kurzarbeit kann nicht angemeldet werden, da die Versorgung und Bewegung der Pferde ohne regulären Schulbetrieb mehr und nicht weniger Arbeit verursachen.
Monatliche Kosten von 45 000 Franken
Das obige Beispiel stammt aus einer Reitschule mit 30 Schulpferden, bei der viele Kinder eine Dressur- oder Springausbildung absolvieren und hoffen, mal in die Fussstapfen der Schweizer Weltklassereiter zu treten. Dennoch stehen die Reitschulbetreiber mit ihren 45000.- Franken monatlichen Kosten jetzt vollkommen allein da. Zwar läuft seit Beginn des Lockdowns eine Spendenaktion für Reitbetriebe, bei der über 80000 Franken gesammelt wurden, aber verteilt auf die 56 teilnehmenden Reitschulen ist das nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Pferde kann man nicht einfach wegstellen, das Tierschutzgesetz verlangt, dass jedes einzelne von ihnen Bewegung, Versorgung, Fütterung und medizinische Betreuung erhält. Und gut ausgebildete Schulpferde kann man nicht einfach verkaufen, weil nach der Krise nicht wieder neue mit demselben Ausbildungsstand gekauft werden können, ohne Verluste hinzunehmen.
Reduzierter Bestand = langfristiger Notstand
Die Anzahl Schulpferde steuert die Zahl der Reitstunden, die man maximal anbieten kann. Wird der Bestand reduziert, erhöhen sich die Kosten pro Pferd gemessen an Löhnen, Abgaben und Infrastruktur, während die maximalen Einnahmemöglichkeiten sinken, womit eine finanzielle Genesung nach der Krise noch viel schwieriger wird. Die finanziellen Sorgen werden durch die langanhaltende Trockenheit noch verstärkt, durch die das Graswachstum auf den Weiden zum Stillstand gekommen ist und die Pferde nun mit Heu zugefüttert werden müssen. Die Trockenheit mindert jedoch auch die Heuproduktion in den nächsten Wochen, wodurch steigende Futterpreise die Situation noch verschärfen werden.
Finanzielle Hilfe sehr dringend
Man braucht keinen Abschluss in Finanzwirtschaft, um die Ernsthaftigkeit der Situation zu erkennen. Dennoch haben die Verbände der Pferdeszene auf ihre moderate Forderung von Soforthilfe in der Höhe von 800 Franken pro Schulpferd (siehe Geld pro Pferd/Pony aus Bundesbern gefordert) noch keine Reaktion erhalten. Man könnte fast meinen, dass die Pferdebranche in der Schweiz weder eine politische Lobby noch mediale Macht aufweist. Einsamer Streiter im Parlament ist Damian Müller, Präsident der Parlamentarischen Gruppe Pferd. Weitere Pferdeliebhaber, Väter und Mütter von Reitschulkindern oder Pferdesportler gibt es anscheinend weder in der Politik noch bei den Bundesangestellten. Oder sie setzen sich nicht für die Pferdeszene ein, aus welchen Gründen auch immer.
Zeit des Schweigens ist vorbei
Die hohe Zahl an Unterschriften für die Online-Petition zeigt, dass die Basis der PferdesportlerInnen und FreizeitreiterInnen hinter den Reitschulen und dem Reitsport steht. Die Basis wird laut. Laut geworden ist auch der Verbands-Präsident der Swiss Horse Professionals gestern mit einem offenen Brief (SHP: Alarm in Reitbetrieben – es droht der Kollaps), den auch die “Pferdewoche” prominent veröffentlicht hat. Offen bleibt jedoch, ob jetzt die Rufe in Bundesbern gehört werden oder ob es noch mehr und noch lautere Stimmen dazu braucht.
Daniela A. Caviglia, Chefredaktorin
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