Tauchen Probleme bei der Rittigkeit eines Pferdes auf, können verschiedenste Gründe die Ursache sein. Wie aber kommt man den Symptomen auf den Grund? «Wissen ist ein absolutes Muss im Pferdesport!», zitierte Lucas Andres, Präsident des Vereins Forschung für das Pferd, den Reitmeister Richard Wätjen in seiner Begrüssung die Anwesenden im bis auf den letzten Platz besetzten Hörsaal im Tierspital Zürich. Das diesjährige Herbstseminar, das von der Reha-Trainerin Corinne Hauser initiiert wurde, stand unter dem Thema «Zaum, Gebiss, Reiter und Pferd». In ihren Referaten gingen die Referenten Nico Bolz, Hans Geyer und Robert Stodulka der Frage nach, ob die Ursachen für Störungen in der Rittigkeit von den Zähnen her kommen können, ein auf empfindliche Stellen am Kopf drückender Zaum der Grund ist oder auf einen der Natur des Pferdes widersprechenden Reitstil zurückzuführen ist. Jeder der Referenten konnte noch und noch Gründe für mögliche Rittigkeitsprobleme anführen, lieferte aber auch die Antworten, wie den Symptomen zu begegnen ist.
Das Maul des Pferdes, Gebisse und Zäumungen hat das Herbstseminar bewusst in den Kontext mit dem Einfluss des Reiters gestellt. Darüber sprach der Wiener Tierarzt Robert Stodulka, der Begründer der «Medizinischen Reitlehre nach Dr. Stodulka®». Stodulka sieht sich darin allerdings nicht als den Erfinder eines Reitsystems, sondern als Übersetzer der Wünsche des Pferdes. Die Ursache für Rittigkeitsprobleme sieht er oft bei einem mangelhaften Gleichgewicht. Dabei erinnerte der Tierarzt, dass wir uns immer zu vergegenwärtigen hätten, dass wir als Reiter auf der schwächsten Partie des Pferdekörpers sitzen würden. Den Inhalt seines Referates richtete er weniger auf medizinische Probleme aus als vielmehr auf grundlegendes Reiterwissen. Stodulka, stark in der klassischen Reitlehre verwurzelt, stellt deshalb auch immer wieder den Kontext zu ihr her. Unter anderem, wenn er festhält: «Schon die alten Meister der reinen klassischen Lehre wussten um die Notwendigkeit eines frei beweglichen Genicks Bescheid und widmeten der Erhaltung dieser Beweglichkeit viel Zeit.» Die Kunst ist es nun, dies auf pferdegerechte Art und Weise verständlich zu machen und die individuelle Arbeitsposition für jedes Pferd zu finden.
Wie Reiter stören können
Nicht anwesend am Seminar war als Referentin Roswitha Schreiber-Jetzinger, die auf die Einwirkungen des Reiters hätte eingehen sollen. Weil sie unter anderem nach der Bewegungslehre von Eckart Meyners arbeitet, nehmen wir an dieser Stelle Einblick in sein neu erschienenes Buch «Wie bewegt sich der Reiter». Meyners, der sich seit Jahrzehnten mit dem Sitz und dessen Einwirkungen auf das Pferd auseinandersetzt, will im neuen Buch den Reitern die Bewegungsabläufe verständlicher machen sowie den Sitz und die Hilfengebung verbessern. Wie aber soll das gehen, wenn es nach seinen Ausführungen den «korrekten Sitz» nicht gibt? «Trotz dieser bereits seit annähernd vierzig Jahren bestehenden Erkenntnis werden Reiter und Pferd immer wieder wie von einem ‹Bildhauer› im Unterricht bearbeitet. Reiter scheinen ‹rohe Steinblöcke› zu sein, die nach vorgegebenen, sogenannten idealtypischen Kriterien der Reitlehre und unterschiedlichen wissenschaftlichen Konzepten des Menschen verändert werden können.»
Mit der alleinigen Feststellung dieser Tatsache lässt es Meyners allerdings nicht bewenden. Er kennt die Abläufe und weist darauf hin, dass optimal aufgenommene Steigbügel die Dynamik des Reiters erhöhen oder der Stress eines Reiters sich in einer verkrampften Zügelführung ausdrückt. Und bringt im Buch deshalb seitenweise Anweisungen und Tipps vom passenden Helm bis zur Sohle des Reitstiefels, wie man zum persönlich optimalen und für das Pferd vorteilhaften Sitz kommen kann. Bewegungsexperte Meyners beschränkt sich nicht allein auf die Anatomie, wenn er schreibt: «Innere Faktoren wie Motivation, Wille, Erfahrungshintergrund, Erleben und Empfinden sind bei Reiterhandlungen von bewegungsleitender Bedeutung und beeinflussen die Art der Ausführung entscheidend. … An Reitbewegungen lassen sich von aussen auch Geisteshaltung, Gesinnung, augenblickliche Stimmung und Gesamteinstellung zum Reiten und zum Wesen Pferd erkennen.» Das Buch bietet Hilfe, wie zum persönlich optimalen Sitz gefunden werden kann, wo die Ursachen für störende Einflüsse auf das Pferd liegen.
Mit jährlichen Kontrollen Probleme verhindern
Der am Zürcher Tierspital tätige Nico Bolz vermittelte eine umfassende Übersicht über die Zahnerkrankungen beim Pferd. Seine Empfehlung lautete: «Mindestens eine jährliche tiermedizinische Kontrolle des Gebisses ist für jeden Equiden angezeigt, unabhängig von Rasse und Alter. Dadurch erhöht sich die Lebensqualität des Pferdes, eine effiziente Futteraufnahme wird gewährleistet und Rittigkeitsprobleme aufgrund schmerzhafter Prozesse im Bereich der Maulhöhle können verhindert werden.» Freilich räumte er ein, dass längstens nicht immer Zahnerkrankungen die Ursache für Rittigkeitsprobleme seien, denn jedes Pferd gehe mit seiner speziellen Situation auch speziell um. Um Veränderungen bei den Zähnen des Pferdes richtig einschätzen zu können, rät Bolz von einem zu häufigen Wechsel des Tierarztes ab. Umstritten ist für ihn der sogenannte Trensenschliff, angebracht ist er dann, wenn Haken und Spitzen an den vorderen Backenzähnen zu Rittigkeitsproblemen führen. Auch das Entfernen der Wolfszähne macht für Nico Bolz nur dann Sinn, wenn deswegen Probleme beim Reiten, hervorgerufen durch das Gebiss, auftreten.
Jedes Pferdemaul ist wieder anders
Wo Zäume und Gebiss am Kopf und im Maul drücken und sogar Schmerzen verursachen können, zeigte Professor Hans Geyer noch eindrücklicher auf als in den Artikeln, die er vor einem Jahr für den KAVALLO geschrieben hatte. Geyer sprach dabei von «Ehrfurcht, die er bekommen habe, als er erkennen konnte, was am Kopf und im Maul alles vorhanden sei». Und diese Ehrfurcht übertrug sich, als er die SeminarteilnehmerInnen zum Präparat eines zersägten Pferdekopfes führte. Der Blick ins Innere des Pferdemauls ermöglichte, mit den eigenen Augen zu sehen, was beim wohl empfindlichsten Körperteil des Pferdes alles passiert, wenn Gebisse eingelegt werden. Eindringlich forderte er deshalb, der Wahl des Gebisses die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, was beim unendlichen Angebot allerdings oft sehr schwierig sei. Denn Rossmäuler – so Geyer – seien in Gottes Namen einfach unterschiedlich. Auf jeden Fall muss das Gebiss zur Grösse des Mauls passen. Und die Kandare gehört der starken Hebelkräfte wegen «sicher nur in die Hände von erfahrenen Reitern, die bei dieser Zäumung ‹fast nichts› in der Hand halten». Zu Vorsicht mahnte Geyer zudem beim Einsatz des dünnen Steigergebisses, das extrem auf den Laden wirkt. Zu beachten ist zudem, dass die vorne am Kopf einwirkenden Kräfte auch nach hinten weitergeleitet werden, die Zäumung deshalb lenkend und nicht hemmend wirken muss. Das wirkt sich auch bei gebisslosen Zäumungen aus: «Hier sollen die Kräfte geringer sein als über Zügel an den Gebissen, die Wirkung der Kräfte auf den hochempfindlichen Nasenrücken ist aber bei der gebisslosen Zäumung nicht zu unterschätzen.»
Sein Referat schloss Professor Geyer mit dem Hinweis: «Bei der unendlichen Vielfalt der Zäume mit oder ohne Gebisse ist eine korrekte Beurteilung ihrer Tierfreundlichkeit in der Praxis oft sehr schwierig. Man kontrolliere daher sorgfältig und achte auf die Unversehrtheit der an Gebissen und Zäumen anliegenden Gewebe. Zuletzt achte man auch das Verhalten der Tiere, wie gut eine Zäumung angenommen wird oder ob diese zu Abwehrreaktionen bei den Pferden führt.»