Sicher, es war ein berauschendes Pferdesport-Fest: 16 Tage haben wir mit den Teilnehmern gefiebert, Daumen gedrückt, Sieger bejubelt, mit den Verlierern geweint und Emotionen gelebt. Doch es gab auch eine Kehrseite der Medaille, eine überforderte Organisation, eine überlastete Infrastruktur und Disziplinen, die rein von der Menge der Teilnehmer her an ihre Grenzen stiessen – beim Massenstart der Endurance kam es zu einem Chaos mit Stürzen, in der Gegend um das Haras Le Pin standen die Zuschauer stundenlang im Stau anstatt entlang der Cross-Strecke und ganz ehrlich, wer will schon zweimal 10 Stunden Dressur sehen wie im Grand Prix? Ungezügeltes Wachstum und das Streben nach immer neuen Superlativen schaden den Weltreiterspielen mehr, als sie nützen. Der moderne Pferdesport befindet sich in einem Spannungsfeld der Extreme: die Freude am Tier, am Gemeinschaftserlebnis auf der einen Seite, die globale Kommerzialisierung bis hin zum Missbrauch des Pferdes auf der anderen Seite. Hier gilt es in den nächsten Jahren dringend eine Balance zu finden, ein Gesundschrumpfen ist nötig – sonst droht das Konstrukt WEG in sich zusammenzustürzen.
Doch jetzt lassen Sie uns auf den nächsten Seiten die grossen Momente der WEG 2014 und der Schweizer Pferdesportler Revue passieren.
Voltigierer glänzen
mit Silber und Bronze
Bunt, fröhlich und erfolgreich: Die helvetischen Voltigierer erwiesen sich einmal mehr als sicherer Wert, wenn es um Medaillen geht. Und zum ersten Mal überhaupt gab es an Weltmeisterschaften sogar zweimal WM-Edelmetall: Titelverteidiger Lütisburg gewann Silber und Einzelvoltigiererin Simone Jäiser mit Bronze die längst fällige Medaille.
Vor vier Jahren war es Einzelvoltigierer Patric Looser, der in Kentucky die Schweizer Delegation erlöste und für die einzige Medaille der gesamten WEG sorgte – und dann erst noch eine goldene! Dies war die zehnte Voltige-Medaille für die Schweiz seit den ersten Weltreiterspielen 1990 in Stockholm. In der Normandie folgten nun die Medaillen Nummer 11 und 12 – was Voltige an Weltmeisterschaften mit Abstand zur erfolgreichsten Disziplin im Schweizer Pferdesport macht.
Weltmeisterliche erste Kür
Das Team Lütisburg reiste als Titelverteidiger in die Normandie: 2010 hatte die bunte, fröhliche Gruppe von Longenführerin Monika Winkler-Bischofberger in Le Mans den ewigen Konkurrenten Deutschland besiegen können. Von der damaligen Truppe waren mit Nathalie Bienz, Martina und Nadia Büttiker und Ramona Näf nun noch vier Mädchen dabei. Doch wie gut sich die «Neuen» – Raffaela Di Maria, Tatjana Prassel, Sally Stucki und die zehnjährige Reservistin Kyra Seiler – bereits in das Team integriert hatten, zeigte sich von Anfang an. Gleich in der ersten Teilprüfung, der Pflicht, erturnten sich die motivierten Mädchen in der Zenith Arena neben dem Messezentrum von Caen eine gute Ausgangslage: Platz 3 hinter Deutschland und den führenden Österreichern. Doch die Lütisburger hatten noch mehr drauf – ihr nächster Auftritt auf dem bereits 19-jährigen Schimmel Will be Good in der ersten Kür war weltmeisterlich: Sicher und mit spielerischer Leichtigkeit turnten sie sich durch die schwierigsten Aufgaben und Hebefiguren. Die Note 8,956 bedeutete den Sieg in dieser zweiten Teilprüfung und das Vorrücken auf Rang 2 in der Zwischenwertung – mit nur gerade 0,033 Punkten Rückstand auf das Team Neuss-Grimlinghausen aus Nordrhein-Westfalen, das den Lead übernommen hatte. Dementsprechend spannend war die Ausgangslage für die zweite Kür, zu der noch zwölf von den ursprünglich 17 Nationen – auch das ein Teilnehmerrekord – antraten. Unter den Top-Teams warf sich Österreich mit einigen groben Patzern und einem Sturz selbst aus der Entscheidung. Davon profitieren konnten die Franzosen, die sich vor dem jubelnden Heimpublikum die Bronzemedaille sichern konnten. Im Showdown Deutschland – Schweiz zeigte das Team Lütisburg sich nicht mehr ganz so sicher wie noch in der ersten Kür, es schlichen sich ein paar kleine Fehler ein. Die Note von 8,503 reichte schliesslich «nur» zu Silber. «Natürlich hätten wir lieber Gold gehabt, aber Deutschland war heute sehr gut. Die Mädchen haben wirklich hart gekämpft», sagte Longenführerin Monika Winkler-Bischofberger.
Endlich eine Medaille für Jäiser
Wie das Team Lütisburg bei den Gruppen, gehörte Simone Jäiser im Einzel der Damen zu den grossen Favoritinnen. Seit geraumer Zeit turnt die sympathische Blondine schon an der Weltspitze mit, doch an Titelkämpfen war sie die ewige Vierte. So war sie nach der EM 2011, 2013 und bei der WM 2012 nun definitiv einmal «an der Reihe». Auf ihrem Pferd Luk, longiert von ihrer Mutter Rita Blieske, die Simone Jäiser trainiert, seit sie vier Jahre alt ist, meldete sie ihre Ambitionen mit ihrer bisher besten Note (8,30) in der Pflicht und Platz 3 in den ersten beiden Teilprüfungen an. Nach dem Technikprogramm rutschte sie kurzfristig wieder auf den verflixten 4. Rang ab. Doch in der der finalen Kür machte sie alles klar: Zur Filmmusik des chinesischen Wuxia-Dramas «Couching Tiger, Hidden Dragon» bewältigte sie ihre schweren Elemente sicher und dynamisch und die Endnote von 8,433 reichte endlich zum lang ersehnten Edelmetall: Bronze! «Es fühlt sich gut an, diese Medaille endlich zu haben, und ich freue mich nicht nur für mich, sondern auch für mein Team», sagte Simone Jäiser. Überlegene Siegerin bei den Frauen wurde die Schottin Joanne Eccles, die damit ihren dritten WM-Titel in Folge gewann. Silber ging an die Italienerin Anna Cavallaro, die sich nach einem mässigen Start noch auf Rang 2 vorarbeiten konnte und mit einem Vorsprung von 0,019 nur ganz knapp vor Jäiser lag. Als zweite Schweizerin hatte die 23-jährige Tösstalerin Elisabeth Bieri auf Rocky XXXVIII CH mit Longenführerin Corinne Stump den Sprung unter die besten 15 geschafft, wo sie mit einem Total von 7,386 Platz 14 belegte. Als 16. hatte die Bernerin Pascale Wagner diesen Cut ganz knapp verpasst.
Beide Schweizer im Final
Im Einzel der Herren gab es einen fulminanten Doppelsieg für Frankreich. Jacques Ferrari holte sich die Goldmedaille vor Titelverteidiger Nicolas Andreani und dem Deutschen Eric Oese. Die beiden Schweizer WEG-Debütanten aus dem Kanton Bern, der 21-jährige Lukas Heppler und der 22-jährige Cyril Michel, erreichten beide die finale Kür und beendeten die WM auf den Rängen 9 und 15.
Unerwartete Medaille und offene Fragen
Im Vorfeld der WEG gab es Knatsch um die Selektion bei den Schweizer Endurance-Reitern – und nun gewinnen sie in einem schweren Rennen, das nur 38 von 165 gestarteten Paaren und drei Equipen beendeten, die Bronzemedaille. Der Sieger ist wieder ein Scheich und auch sonst war nicht alles Idylle pur an der Bucht des Mont St-Michel.
Im Jahr 2010 hatte man keine Schweizer Endurance-Reiter an die WEG nach Kentucky geschickt: Zu weit weg, zu teuer und zu geringe Erfolgsaussichten. Vier Jahre später dann die grosse Überraschung: Das Team mit Barbara Lissarrague, Sonja Fritschi und Andrea Amacher gewinnt mit einer klugen taktischen Leistung völlig überraschend Bronze und damit die dritte WM-Team-Medaille für den Schweizer Endurance-Sport nach Bronze im Jahre 1996 in Fort Riley (USA) und Silber 2006 in Aachen (GER). Die Goldmedaille ging an Spanien vor Frankreich – allerdings haben auch nur diese drei Nationen das harte Rennen mit teilweise sehr schwierigen Bodenverhältnissen beendet.
Eine Heldin mit Kratzer im Lack
Gegenüber dem Presseteam des Veranstalters schrieb Claude Nordmann, der rührige Missionschef der Schweizer Delegation, das Verdienst an diesem Erfolg ganz der 48-jährigen Barbara Lissarrague zu. «Barbara hat alles für das Team getan. Sie ritten alle zusammen, nachdem wir unsere ersten beiden Reiter schon früh im Rennen verloren hatten.» Im Verlauf des Rennens arbeitete sich die schweizerisch-französische Doppelbürgerin immer weiter vor bis auf den guten vierten Einzelrang – und es wäre noch mehr drin gewesen. Doch in der zweiten Schlaufe rutschte Lissarragues Schimmelstute Preume de Paute aus, die Reiterin stürzte und lädierte sich die Rippen. In Zielnähe verbündete sich die Profireiterin angeblich mit dem Katari Abdulrahman Saad Al Sulaiteen, der sich aber nicht wie ein Gentleman verhielt und sie im Endspurt um Platz drei stehen liess. Das ist der Stoff, aus dem Endurance-Krimis sind – und die Heldin ist erst noch keine Unbekannte. Beim Namen Lissarague erinnert man sich einerseits an das WM-Gold, das sie im Jahr 2005 gewann, in der Zeit, in der sie für Frankreich ritt, anderseits an einen Vorfall aus dem Jahr 2002. Anlässlich einer Dopingkontrolle am CEI3* in Bellinzona wurde bei ihrem Pferd Georgat die verbotene Substanz Hydroxy-Lidocain festgestellt. Lissarague wurde von der FEI disqualifiziert. Der Schweizer-Meister-Titel, den sie bei dem Rennen gewann, wurde ihr aberkannt. Der SVPS suspendierte die Reiterin vom A-Kader, wodurch sie die Teilnahme an den WEG in Jerez de la Frontera verpasste. Darauf startete Lissarague für Frankreich, bis sie 2013 zum SVPS zurückfand. Der sieht in seinem Kampf für sauberen und fairen Endurance-Sport und in der Nominierung von Lissarague keinen Widerspruch. «Der SVPS sieht den Fall vor zwölf Jahren als abgeschlossen und steht hinter der Selektion von Barbara Lissarague ins WEG-Team. Ihre Pferde wurden in unzähligen weiteren Medikationskontrollen an nationalen und internationalen Wettkämpfen in den letzten Jahren nie mehr positiv getestet», hiess es auf Anfrage.
Der Scheich gewinnt und ein Pferd stirbt
Sieger im Rennen über 160 Kilometer wurde Scheich Hamdan Al Maktoum mit Yamamah in einer Reitzeit von acht Stunden und acht Minuten. Der Sohn des Herrschers von Dubai folgt damit auf seinen Vater, der vor vier Jahren Weltmeister in Kentucky geworden war. Doch gerade die Al-Maktoum-Familie spielte in den Kontroversen rund um den Endurance-Sport immer wieder eine zentrale Rolle. Auch gegen den neuen Weltmeister gab es im Frühling eine Untersuchung: Er soll an der WM vor zwei Jahren ein anderes Pferd geritten haben als angegeben.
Überschattet wurde das Rennen aus-serdem vom Tod eines Pferdes aus Costa Rica, das gegen einen Baum prallte und sofort tot war. Die Reiterin wurde verletzt in ein Krankenhaus gebracht. Dem ramponierten Ruf der Endurance sind weder solche Unfälle noch die vielen Ausfälle zuträglich. Als «Farce» und «Alptraum» bezeichnete die britische Journalistin Pippa Chuckson, die viele Skandale rund um die Endurance aufgedeckt hatte, das WM-Rennen. Auch der deutsche Pferdesportverband kritisierte den Distanzritt. «Das war ein schwarzer Tag für das Distanzreiten angesichts von so vielen Ausfällen. Man muss nichts schönreden, wenn mehr als 120 Teilnehmer ausscheiden», sagte FN-Sportchef Dennis Peiler gegenüber dpa.
Statt Rasen war Taktik gefragt
Einige Teilnehmer berichteten aber auch, dass die Regeln in den Vet-Gates nun rigoroser eingehalten wurden als auch schon. Als Schritt in die richtige Richtung erwies sich auch die Streckenführung. Anstatt einer topfebenen «Rennbahn» konzipierte der französische Trainer und Tierarzt Jean-Louis Leclerc einen anspruchsvollen Kurs mit vielen Kurven, An- und Abstiegen, die über unterschiedlichstes Terrain wie Sand, Kies, Gras und Asphalt führte. Gefragt war nicht mehr nur ein schnelles Pferd, sondern ein denkender Reiter mit einer klaren Strategie. Obwohl die Mindestgeschwindigkeit von 15 auf 14 km/h reduziert wurde, taten sich viele Teilnehmer schwer: Von 165 gestarteten Paaren sahen nur 38 das Ziel. Allerdings forderten auch die widrigen Witterungsbedingungen ihre Opfer, vor allem die Hufschmiede hatten alle Hände voll zu tun. So verloren die Pferde Sharimo CH und Jannick CH von Sandra Bechter und Veronika Münger in der ersten bzw. in der zweiten Schlaufe ein Eisen. Beide setzten den Ritt danach nicht mehr fort. Die Zürcherin Sonja Fritschi mit Okkarina d’Alsace und die Bernerin Sandra Amacher mit Rustik d’Alsace ritten ein taktisch intelligentes Rennen, kamen miteinander auf die Ränge 25 und 26 und sicherten dem Team die Bronzemedaille.