Pferderennen sind in der Schweiz seit dem neunzehnten Jahrhundert bekannt und werden bis heute an etwa 40 Renntagen durchgeführt. Die Zuschauerzahl auf einer Rennbahn in der Deutschschweiz, also in Fehraltorf, Dielsdorf, Frauenfeld, Aarau und auch in Maienfeld, ziehen eine grosse Zahl von Zuschauern an. Je nach Wetter sind dies 5000 bis über 10’000 Besucherinnen und Besucher. Nennen Sie mir eine andere Sportart, die auf ähnliche Zahlen kommt.
Trotzdem lautet die häufigste Frage die mir gestellt wird, sobald ich dieses Thema aufs Tapet bringe: «Gibt es Pferderennen in der Schweiz?» Ja es gibt sie, sie sind aber in weiten Kreisen nahezu unbekannt. Wie kann das sein, dass nur ein kleiner Teil der Schweizer Bevölkerung über diesen Sport Bescheid weiss.
Blicken wir zurück. Ende der Siebziger Jahre wurde der Schweizer Rennsport professioneller. Mit Hans Woop kam ein Rennpferdetrainer in die Schweiz der als einer der Ersten die Lizenz zum Trainieren für unlimitiert viele Besitzer bekam. Es gab von 1970 bis 1990 im Durchschnitt 420 Rennpferde im Training, 250 Besitzer, 45 Rennreiter und noch 10 Rennbahnen. St. Moritz und Arosa mitgezählt. Die Preisgelder reichten von 8’000 bis 100’000 Franken. Eine ganze Reihe von Personen rund um den Rennsport konnte davon leben. Der Grosse Preis der Schweiz in Aarau, das Derby in Frauenfeld oder das Silberblaue Band von Zürich waren mit über 50’000 Franken dotiert.
Über die bedeutendsten Rennen wurde jeweils in der Tagesschau berichtet, wenn auch nur wenige Minuten. Doch das Entscheidende ist, dass der Pferderennsport existierte und zwar weil man über ihn berichtete. Heute nun stehen Pferderennen nicht mehr, mit verschwindend wenigen Ausnahmen, auf dem Programm. Über das Wieso und das Warum kann man lange nachdenken, was der Schreibende zwar getan hat, es würde aber den Rahmen dieses Briefes sprengen. Doch die Leute fragen mich immer noch «Gibt es Pferderennen in der Schweiz?».
Die Antwort ist ja, und der Nebensatz lautet, aber wie lange noch. Nun sind wir gerade in einer Ausnahmesituation. Andere Länder wie Deutschland, Frankreich, England und Irland auch. In den genannten Ländern ist der Pferderennsport von volkswirtschaftlicher Bedeutung, natürlich gekoppelt an die Wetten. Ich nehme nun Deutschland als aktuelles Beispiel. Die Krise kam und Massenveranstaltungen wurden verboten. Da ergriffen einige kreative Köpfe die Initiative und erreichten was bisher unmöglich schien. Sie erreichten über die Sportwelt hinaus, dass die Medien (wieder) darüber berichteten. In Deutschland werden seit zwei Wochen Rennen ohne Publikum durchgeführt, aber dank heutigen digitalen Medien können trotzdem zig Tausende erreicht werden und dank der Medienpräsenz vielleicht mehr als bisher.
Auch wenn in der Schweiz, wie stets alles etwas kleiner ist, so verdient der Rennsport doch eine Berichterstattung, die über den engen Kreis der Rennsportmedien hinausgeht. Ich rufe Sie deshalb auf, die Pferderennen wieder – an verschiedenen Plätzen – ins Programm einzubauen. Ein Tipp: Gerade jetzt sollen in Avenches auf der Rennbahn IENA im Juli Rennen durchgeführt werden. Möglicherweise sogar im Juni in Dielsdorf. Das könnte doch eine Story sein. Das könnte einmal ein Anfang sein. Es gibt nämlich nicht nur Frauen in Pelzmänteln die in St. Moritz mit kleinen Hunden und hohen High-Heels durch den Schnee stapfen. Der Rennsport von innen sieht anders aus. Da wird viel Arbeit geleistet von engagiertem Stallpersonal, bemerkenswert ist auch der sensible Umgang mit Rennpferden durch gute Trainer und Jockeys. Und es gibt viele Familien die sich am Sonntag in Dielsdorf zu einem spannenden Nachmittag treffen. Da gibt’s übermütige Sieger und enttäuschte Verlierer und auf beide wartet aber schon das nächste Rennen.
Helfen Sie mit, diese traditionsreiche Sportart am Leben und im Bewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer zu halten.
Rémy P. Giger
Vorstandsmitglied des Scala Racing Club