Denkt man an die Schweiz, fallen einem normalerweise Berge, Schokolade und Käse ein. Das es hier auch waschechte Cowboys und Cowgirls gibt, wissen die wenigsten. Neugierig mache ich mich auf den Weg ins Zürcher Oberland, um meine Westernreit-Fähigkeiten auf die Probe zu stellen. Während der Fahrt zum Bio-Hof Stall Niderorn taucht jedoch eine unangenehme Frage in meinem Kopf auf: «Wie bekomme ich diesen schweren Sattel über das Pferd, ohne jemandem versehentlich die Steigbügel ins Gesicht zu schlagen?»
Von Eva Lima (Kavallo 06/23)
Erstaunlicherweise läuft alles besser als gedacht, und die Furcht vor einer Blamage ist völlig unbegründet. Eine Überraschung wartet trotzdem auf mich. Meine neu gewonnenen Sattel-Skills darf ich gleich mehrfach einsetzen, denn für die Probelektion stehen mir drei verschiedenen Pferde zur Verfügung: Mini, Sweety und Missy. Zusammen mit der Pferdefachfrau Western EFZ Evelyn Honegger zeigen sie mir, was die Westernreiterei zu bieten hat und wie vielseitig diese Disziplin eigentlich ist.
Ein Tierparadies mit Familientradition
Der Bauernhof im Weiler Niderorn am Bachtel befindet sich seit über 400 Jahren im Besitz der Familie Honegger. Kein Wunder also, dass Evelyn mit Tieren gross geworden ist. «Meine Mutter und ich haben uns immer für Pferde interessiert. So begann mein Vater mit dem Handel von Pferden und Ponys. Unser Job war es, die Tiere auszubilden, während sich mein Vater um den Ein- und Verkauf kümmerte.» Inzwischen haben die Pferdefachfrau Western EFZ und ihr Mann Thomas den Hof übernommen. Bei einem gemütlichen Kaffee im Reiterstübli erkenne ich, dass die Familie grossen Wert auf eine pferdefreundliche Haltung legt: «Wir möchten kein Luxus-Stall sein. Am wichtigsten ist uns das Wohl der Pferde. Und wir stecken sehr viel Energie in die Entwicklung unseres Mountain Paddock Trails. Es ist unsere Vision, den Hof in zwei bis drei Jahren umzubauen oder neu zu strukturieren, sofern es die finanziellen Mittel zulassen. Mit dem Umbau soll alles heller, luftiger und moderner werden.» Beim Rundgang zeigt mir die Hofbetreiberin neben den Stallungen die helle Sattelkammer, das Gehege für die wunderschönen Galloway-Rinder, die beeindruckenden Alpenschweine und die zuckersüssen Zwergziegen. «Unsere Ziegen dürfen sich tagsüber völlig frei bewegen – du kannst dir nicht vorstellen, wie verwirrt manche Leute auf freilaufende Tiere reagieren», lacht Evelyn und plaudert aus dem Nähkästchen. «Es gibt sogar Hufpfleger, die sich wegen der Zwergziegen nicht mehr auf den Hof trauen.» Ich stelle mir die Situation direkt bildlich vor und kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen. Für das Training steht den Pensionären ein 20×40 Meter grosser Reitplatz sowie eine Cutting-Maschine zur Verfügung.
Immer in Bewegung – der Paddock Trail
Ich bin schon etwas neidisch – Ausritte müssen bei dieser idyllischen Lage am Bachtel oberhalb von Hinwil wunderschön sein. Allein der Blick auf den Obersee und die Glarner Alpen ist sensationell. Entsprechend bergig ist auch der Mountain Paddock Trail, den die Betriebsleiterin nach intensiver Recherche über die verschiedenen Haltungsformen 2016 erbaut hat. Der Trail besteht aus einem Laufstall mit Waldboden-Einstreu und einem 1,2 Kilometer langen und ca. 5 bis 10 Meter breiten Pfad, auf dem mehrere Futterstellen, Ruheplätze, Tränken und Mineralstoff-Stationen verteilt sind. Es gibt sogar ein Waldstück und einige spannende Hindernisse. «Da müssen die Besitzer teilweise schon ihr Pferd eine halbe Stunde suchen und es ist definitiv nicht für jedes Reiter-Ross-Gespänli geeignet. Man sollte schon gut zu Fuss sein», grinst Evelyn und führt weiter aus: «Da wir einer der ersten Pensionsställe waren, die dieses Konzept umgesetzt haben, mussten wir uns am Anfang auch etwas einpendeln, denn es fehlten uns die Erfahrungswerte. Wir standen vor einigen Fragen, zum Beispiel welche Gruppengrösse ist geeignet? Welche Bewegungsanreize machen Sinn? Welche Arbeitsabläufe und Prozesse sind am effizientesten? Für welche Pferde und Besitzer ist unser Trail geeignet? So kamen wir unter anderem zum Schluss, dass wir die Anfangs geplante Gruppengrösse von 40 Pferden doch lieber auf 20 reduzieren. Zudem erweitern wir den Trail immer wieder mit verschiedenen Böden, wie z.B. einem Steinbeet oder einem rund 15 Meter langen Teppich aus dünnen Baumstämmen und dicken Ästen zum Klettern, Knabbern, Kratzen und Entdecken.» Vom Reiterstübchen aus sehe ich einen Teil des Trails und bin über das riesige Areal beeindruckt. Als Pferdebesitzer kann man sicher ein paar Tage ohne schlechtes Gewissen «stallfrei» nehmen, denn die Rösser haben genug Bewegungsanreize. Krankenboxen mit Bio-Waldboden-Einstreu, ein Laufstall für die Fohlen und Jungpferde und grosszügige Gastboxen für Gastpferde stehen ebenfalls zur Verfügung. «Bei der Fütterung halten wir es simpel und naturnah, denn weniger ist mehr. Heu und Gras Cobs mit Mineralien, und für die Quarter Horses zusätzlich Hafer – that’s it», erklärt mir Pferdefachfrau Western EFZ und ausgebildete Landwirtin.
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