Offener Brief an die Funktionäre der Galoppszene Schweiz

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Paul Bossert

Von Paul Bossert, Wädenswil, an den Vorstand Galopp Schweiz, die Rennleitungsmitglieder, alle Starter Galopp und die StartboxenhelferInnen

Adieu

Geschätzte Alle

45 Jahre sind genug um als Funktionär zu amten und mit 70 Jahren ist es auch Zeit, sich von der Bühne zu verabschieden. Gerne hätte ich meinen Rücktritt anlässlich vom White Turf 2021 vollzogen, doch Corona verhinderte auch diesen Anlass.

Warum St. Moritz? Da hatte ich am 8. Februar 1976 meinen ersten Einsatz als Funktionär im Startergremium, nachdem ich im Jahr zuvor die Ausbildung zum Hilfsstarter Galopp und Trab absolvierte. So amtete ich bis im März 1980 als Hilfsstarter in den Sparten Galopp und Trab. Nebenbei absolvierte ich in den Jahren 1977 und 1978 eine Ausbildung als Starter Galopp. In dieser Zeit natürlich noch starten mit Gummiband oder manuellen Startmaschine mit Bändern. Dann kam eine Zeit wo der Chefstarter- ein Oberst der Schweizer Armee – der Meinung war, dass eine Nachwuchsausbildung für Starter nicht nötig sei und ich wurde dann bis im Frühling 1980 weiter als Hilfsstarter eingesetzt. Doch dann wendete sich das Blatt plötzlich und der Chefstarter war wegen internen Querelen im Traberverband – damals waren Startfunktionäre in beiden Sparten im Einsatz – nicht mehr zugegen und so musste ich kurzfristig in Fehraltorf als Starter einspringen. Zum Glück hatte ich mich in der Zwischenzeit nebenbei an freien Rennsonntagen an der Startmaschine ausbilden lassen, die seit dem Mai 1979 in der Schweiz für Flachrennen auf Grasbahn eingesetzt wird. Ab 1980 wurde ich mehrheitlich als Starter eingesetzt, abwechslungsweise weiterhin aber auch als Hilfsstarter. Später, ab dem Frühjahr 2004, wurde die Funktion des Hilfsstarters aufgehoben, ausser wenn mit Band die Flachrennen gestartet werden mussten. In einem solchen Fall führt ein Startboxenhelfer diese Funktion aus.

45 Jahre Starterfunktionär mit Hochs und Tiefs. Einerseits der tollen Pferdesportart unterstützend zu dienen, anderseits war es auch ein enormer Zeitaufwand und damit Verzicht auf Freizeit und das Familiäre, was viele Aktive und einzelne Rennvereine leider verkennen. Es ist nicht nur, sich auf das Podest zu stellen und den Auslöser an der Startmaschine zum Öffnen der Boxentüren zu bedienen oder das Gummiseil spicken zu lassen oder die rote Fahne schwingen. Man muss sich mit jedem Rennen bereits im Vorfeld zu Hause, und nicht erst auf dem Rennplatz, auseinandersetzen, welche Pferde sind am Start, welche könnten Schwierigkeiten verursachen, welche sind Spezialfälle etc. Dasselbe gilt dann vor jedem Flachrennen noch mit dem Boxenchef zu besprechen, so dass das Startprozedere möglichst optimal verläuft. Teamarbeit ist auch da gefragt und als Starter trägt man die Verantwortung. So habe ich eine Liste geführt über Pferde, auf die am Start eine besondere Aufmerksamkeit fordern, welche eine Kapuze benötigen, besondere Hilfe beanspruchen oder wo Vorsicht geboten ist. Die Liste wurde nach jedem Renntag aktualisiert. Jeden Start habe ich immer gleich für mich analysiert, war er optimal oder nicht und wenn, warum nicht. War es mein Fehler oder die der Reiter oder der Pferde? Hätte ich den Start anders handhaben sollen? Besser machen kann man es immer, doch ist das ein schwieriges Unterfangen und allen Leuten Recht getan ist etwas, das niemand kann. Interessant war immer, wenn ein Start nicht optimal verlaufen ist, so waren die einen der Meinung, man hätte abbrechen müssen oder die anderen, man hätte nicht abbrechen dürfen. Wenn man Starts in Hindernisrennen in England vergleicht, wo die Reiter vor dem Startband immer beieinander sind und möglichst miteinander abspringen gibt das in der Schweiz leider oft ein anderes Bild. Möglichst weit auseinander auf der Volte und dann im Gänsemarsch, also verzögert abspringen. Diese Starts habe ich immer gehasst, weil eben unschön für das Bild und Fairness gegenüber dem Wettenden.

Was gab es für viele Diskussionen über das Startprozedere als noch keine Startboxen im Einsatz waren. Hat ein Pferd gewonnen, war es ein gutes Pferd und hat es nicht gewonnen war der Start nicht gut, also war der Starter schuld. Oder wie es Gaston Delaquis in seinem Buch geschrieben hat als bei einem Flaggenstart ein Pferd stehen blieb und der Reiter den Starter fragte„War das ein Start du blöder Starter? Da sagte der Starter: Ja du blöder Reiter“ Dann war die ganze Angelegenheit erledigt. So friedlich ging es früher zu und her. Das änderte sich dann schlagartig mit dem Einsatz von Startboxen. Heute diskutiert man dafür, warum wurde dieses Pferd zuerst in die Boxe geführt und das andere erst am Schluss oder warum wurde es nicht in die Boxe gebracht oder warum hat man nicht mehr Zeit gegeben etc. Etwas ist immer wieder und das ist halt manchmal schon ärgerlich. Aber es gibt auch schöne Momente, wo man Komplimente für den Einsatz erhält und nicht nur wenn ein Pferd gewonnen hat.

Es gab auch Momente wo man am liebsten den Bettel hingeworfen hätte. Vielmals dann, wenn es schwere Unfälle gab wo Mensch und Tier zu Schaden kamen, besonders dann, wenn es für verletzte Pferde keine Rettung mehr gab. Oder wenn die Organisation auf dem Rennplatz nicht funktioniert. So war für mich der Rennplatz Avenches ein Gräuel, weil man auf diesem Rennplatz oft Organisation als etwas anderes betrachtet hat. Ich erinnere mich, zu Beginn von IENA, an die schlecht gewarteten Startboxen, Starboxen die auf der Bahn bereitgestellt wurden, aber nicht funktionierten, weil vergessen ging die Batterie für den Betrieb zu montieren und die Pferde waren bereits bereit für das Einbringen in die Boxen. Startverzögerungen weil man feststellte, dass der Arzt und die Sanität noch nicht auf Platz waren oder der Conterstarter für ein Jagdrennen nicht vorhanden war oder noch bei einem Gläschen Wein sass und ich gezwungen war einen Trainer als Conterstarter einzusetzen. (Danke Trainer Hansjörg Speck). Oder vor einem Start der Conterstarter nicht auffindbar war und so musste ich kurzerhand meinen damals kleinen Sohn Thomas dafür einsetzen. Und da ja keine Fahne vorhanden war, musste er kurzerhand sein weisses T-Shirt ausziehen und bereitstehen, um allenfalls bei einem Fehlstart mit diesem abwinken. Nach dem Rennen tauchte dann der Conterstarter auf, er hat gemütlich am Bord der Rennbahn ein Nickerchen gemacht. Diese und weitere Vorfälle haben mich dann dazu bewogen, Avenches als Funktionär den Rücken zuzuwenden. Leider habe ich das viel zu spät getan, ich hätte mir viel Ärger ersparen können, ganz abgesehen von der langen Anreise- und Präsenzzeit und das alles für eine geringfügige Spesenentschädigung.

In den letzten Jahren ist für mich der Galopprennsport in der Schweiz hektischer geworden. Vielen Akteuren merkt man eine grosse Anspannung an und oft auch eine Unzufriedenheit. Der ständige Wunsch nach Änderung von Reglementen, die teils eingeführt und dann wieder geändert oder rückgängig gemacht werden, führt zu Unsicherheiten und unnötigen Diskussionen. Doch was gar nicht geht, wenn Aktive sich gegenüber Funktionären ungebührlich benehmen oder ihnen den Vorwurf gemacht wird, es werde Macht ausgeübt. So etwas ist sehr unsportlich, beschämend und unwürdig.

Als Funktionär durfte ich aber auch viele schöne Momente erleben, sich an schönem Pferdesport erfreuen und viele nette und weniger nette Menschen kennenlernen. Ich war nie der Mann der grossen Worte und suchte den Kontakt zu Besitzer, Trainer und Reiter nur dann, wenn es erforderlich war. Auch habe ich mich immer bemüht alle gleich zu behandeln, egal was für eine Person man vor sich hatte. Kann sein, dass ich in gewissen Angelegenheiten eher zurückhaltend und zu wenig energisch war. Statt für ein Vergehen eine Busse auszusprechen habe ich lieber das Gespräch mit der betreffenden Person gesucht um das Problem zu lösen. War immer bestrebt das Bestmögliche für alle zu erreichen, was leider nicht immer gelang.

Auffallend, jeder Rennplatz ist anders und hat seine Eigenheiten, sei es positiv wie negativ. Angefangen bei den Vereinspräsidenten oder OK-Chefs. Die einen kennen einem immer und andere nie. Die Zusammenarbeit mit Helfern ist an einem Ort hervorragend an andern eher etwas mühsam. So weiss man mit der Zeit, was einem auf jedem Rennplatz erwartet und so erhält man für jeden Rennplatz einen engeren Bezug oder nicht.

Aarau: Eine schöne Anlage, eingebettet vor einer Waldumgebung mit einer attraktiven Hindernisbahn. Ein Bijou.

Dielsdorf: In früheren Jahren eine versnoppte Gesellschaft, heute annehmlich und zurzeit sehr kreativ.

Fehraltorf: Ländlich und nie abgehoben. Alle Vereinsmitglieder helfen mit, alles wie eine Familie.

Frauenfeld: Besticht immer mit einer guten Organisation und mit einer tadellos funktionierenden Helfermannschaft.

Maienfeld: Bei schönem Wetter eine herrliche Weinberg- und Gebirgskulisse, bei viel Regen eine Schlammschlacht. Würde fehlen, wenn es keine Rennen mehr gäbe.

St. Moritz: Rennen auf Schnee auf dem gefrorenen See, einmalig und dazu Skikjöring. Früher oft etwas chaotisch in der Organisation, hat aufgeholt und der neue Präsident, Thomas Walther, hat sogar bei seinem Debüt die Boxenmannschaft vor dem ersten Rennen persönlich begrüsst und sich für die Arbeit bedankt.

Offener Brief an die Funktionäre der Galoppszene Schweiz

Verabschiedung vom Galopp-Verband. (zVg)

Verabschiedung

Hiermit verabschiede ich mich nun als Starter vom Galopprennsport, danke allen für das Vertrauen, die gute Zusammenarbeit und entschuldige mich bei all denen, wenn es nicht so gelaufen ist wie man das erhofft hat. Ein ganz besonderer Dank an alle Boxenhelferinnen und Boxenhelfer, seit der Anfangszeit bis heute, für ihre nicht immer leichte Arbeit und Unterstützung an den Startmaschinen, denn ohne sie wären die Starter aufgeschmissen. Auch danke ich meinen Starter- und Hilfsstarterkollegen für das Zusammenarbeiten sowie allen Mitgliedern der Rennleitung, anderen Funktionären, allen Aktiven, allen Helferinnen und Helfern auf allen Rennplätzen.

Allen die besten Wünsche, viel Freude bei der Tätigkeit und bleibt gesund. Sicher werde ich ab und zu einmal einen Besuch auf einem Rennplatz abstatten und vielleicht sehen wir uns dann wieder einmal.

Ihr Paul Bossert

 

Anhang:

Einige bleibende Erinnerungen oder Vorkommnisse im Schweizer Pferderennsport

08.10.1967 Maienfeld, Reiter gefallen, ein anderer Reiter ist aufgesessen und weiter geritten.

1975 Ausbildung zu Starterfunktionär durch Adjutant W. Balsiger / W. Walther

20.05.1979 Dielsdorf, erstmals Startboxen im Einsatz

27.09.1970 Sämtliche Galopprennen von Besitzer Willy Bächtold, Trainer Fritz Rindlisbacher und Reiter Kurt Schafflützel gewonnen.

11.10.1979 Aarau, Dr. Gaston Delaquis wird nach 44 Jahren als Speaker verabschiedet

21.06.1981 Frauenfeld, ich hatte die Ehre, das erste Schweizer Derby zu starten.

Okt. 1981 Fehraltorf, zusätzlicher Renntag, keine Rennen in Maienfeld

Als der Spitzenjockey Lester Piggott bei der Ankunft vor der Startmaschine in Dielsdorf aus dem Sattel von seinem Pferd katapultiert wurde, durfte ich ihn wieder in den Sattel hieven. Doch etwas Einmaliges.

18.08.1985 1 Fehlstart in der Stuten Classic in Dielsdorf. Missverständnis zwischen Starter und Hilfsstarter (mein Fehler).

21.08.1988 Dielsdorf, nur 2 Starter im Jagdrennen.

02.06.1991 Dielsdorf, Jagdrennen 6 Starter. Alle Pferde falsche Bahn. Rennen abgebrochen.

13.06.1993 Basel, 1 Fehlstart weil sich noch ein Pferd hinter der Startboxe befand (mein Fehler)

1994 ?? St. Moritz, erstmals Startboxen im Einsatz

Ab 1999 ?? St. Moritz, aufgrund der Erfahrung wurden nur noch Boxenhelfer aus dem Unterland eingesetzt.

18.09.1999 Erste Galopprennen in Avenches.

06.02.2000 St. Moritz, gestartet mit Flagge aus der Startboxe (Boxentüren offen), da Maschine defekt war.

16.09.2000 Avenches, 2 Hürdenrennen, total 8 Starter. Damals eine Ausnahme, heute fast ausnahmslos.

Ab 2004 keine Hilfsstarter mehr im Einsatz (ausser Arosa oder bei Flaggenstart).

11.11.2004 Viele Funktionäre verzichten zu Gunsten des SGV für MWST auf ihre Spesenentschädigung.

09.08.2007 Aarau, der Schachen wir durch Hochwasser überflutet. Tribünensprung zur Hälfte im im Wasser.

08.02.2015 Erstmals wieder Hürdenrennen in St. Moritz, aber nur 2 Jahre.

22.10.2017 Frauenfeld, ich hatte den Renntag als Starter, einmalig, völlig vergessen. Danke René Stadelmann, dass du auf dem Rennplatz warst und für mich eingesprungen bist.

07.10. 2018 Maienfeld, 1x 1 Rennen mit zwei Starter, 1x einen Starter.

25.10.2020 Dielsdorf, übernimmt Renntag von Maienfeld.

Offener Brief an die Funktionäre der Galoppszene Schweiz

Mein Helferteam an den Startboxen. (zVg)

Zum Abschluss noch etwas Statistik

In 45 Jahren als Starterfunktionär 517 Renntage

Aarau 78

Arosa 11

Avenches 55

Basel 7

Dielsdorf 85

Fehraltorf 48

Frauenfeld 95

Luzern 32

Maienfeld 38

Saignelégier 2

St. Moritz 65

Yverdon 1

517 Renntage, davon 287 bei schönem Wetter, 95 mit Regenwetter oder Schneefall, 135 bedeckter Witterung

Anzahl Rennen:2‘449 Rennen als Starter, 376 Rennen als Hilfsstarter

27‘721 Pferde effektiv gestartet , 3‘288 Hilfsstarter Galopp, 1‘102 Hilfsstarter Trab

535 Flachrennen mit Band/Flagge, 17‘424 aus der Startboxe, 2‘154 Hürden, 2‘021 Jagd, 1‘191 Cross, 6 Skikjöring

Total 93‘247 Kilometer zurückgelegt auf den Rennplätzen, 65‘273 Franken aufgewendet, bei einem Kilometerpreis von 70 Rappen gerechnet, 3‘647 Stunden Aufwand für Renntage, ohne Vorbereitungszeit

Spesenentschädigung:

bis 1989 80.– pro Renntag

ab 1990 100.– pro Renntag

ab 2004 130.– pro Renntag für Avenches

ab 2015 130.– alle Rennplätz plus Wegentschädigung je nach Anfahrtsweg

Einzelne Rennvereine haben zusätzlich eine Essensentschädigung von 10 – 30 Franken ausbezahlt. Danke.

Die Winterrennen wurden mit einem höheren Tarif entschädigt.

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