Pferde sind der perfekte Ausgleich im heutigen digitalen Wahnsinn. Kinder fühlen sich von Natur aus zu Pferden hingezogen, was sie zu einer willkommenen Alternative zu Smartphones, Tablets und Videospielen macht. Kein Wunder also, dass 1992 der Pferdesport beim grössten Schweizer Sportförderungsprogramm des Bundes aufgenommen wurde: Jugend+Sport. Doch was verbirgt sich hinter diesem Konzept? Und warum sind die Kinder so wild auf die Badges? Wir begleiten eine aktive J+S Leiterin bei ihren Kursen.
Von Eva Stainos
«Aaah, das ist ein Friese!» sagt das blonde Mädchen aufgeregt – «Richtig! Und kennst du die Besonderheiten dieser Rasse?» fragt die J+S Leiterin Carmen Schneider (auf dem Bild). Das Kind betrachtet nochmals das Schleichpferdchen, das fest in einem Bilderrahmen fixiert ist und holt Luft: «Es ist ganz schwarz und hat keine Abzeichen. Ausserdem hat es eine ganz tolle Mähne!» «Genau», lobt die Aargauerin und erklärt den anwesenden Kindern und Jugendlichen weitere Spezifika über einzelne Pferderassen und deren Exterieur. Es ist Mittwochnachmittag und ich begleite die J+S Leiterin bei einem ihrer Jugend+Sport Kurse. Heute sind die Beginner dran. Die Stimmung ist heiter und gleichzeitig hochkonzentriert. Schliesslich haben die Kids eine wichtige Mission vor Augen: Am Ende des Kurses möchten sie das blaue Jugend+Sport Pferdesport Badge in ihren Händen halten.
Sport fördert die körperliche & geistige Gesundheit
Kinder und Jugendliche stehen heutzutage unter einer Menge Druck. Der Stress, in den sozialen Medien auf dem Laufenden zu bleiben, Prüfungen zu bestehen und ein überladenes, meist sehr digitalisiertes Leben zu managen, kann belasten. Die Covid-19-Krise hilft bei einer gesunden Entwicklung auch nicht sonderlich weiter. Umso wichtiger sind nun sportliche Alternativen, am besten an der frischen Luft. Das fördert entsprechend der Bund mit seinem Sportförderungsprogramm Jugend+Sport. Das Konzept ermöglicht Kindern und Jugendlichen in über 70 Disziplinen Sport ganzheitlich zu erleben und mitzugestalten. Im Jahr nehmen ca. 530’000 Kindern und Jugendlichen an den zahlreichen Aktivitäten statt, die durch gut ausgebildete und engagierte J+S-LeiterInnen, ExpertInnen und Coaches durchgeführt und koordiniert werden. Das Engagement dieser Menschen und die gute Ausbildung sind das Herzstück des Programms. Carmen Schneider ist eine von ihnen.
J+S Pferdesport: nicht nur Ponyreitstunde
Die Reitsportlerin absolvierte ihre Prüfung zur J+S Leiterin im Bereich Pferdesport im Jahr 2020. Hierfür musste sie sich intensiv vorbereiten und unter anderem den Kurs Leiterkurs Pferdesport absolvieren. «In der Ausbildung erhalten wir die methodisch-didaktischen Fähigkeiten für das Unterrichten und viele Inspirationen für die Gestaltung von Lektionen.» berichtet sie. Doch das allein reiche nicht aus, um die Prüfung zu bestehen. Reiterlich müssen die zukünftigen LeiterInnen einiges mitbringen, denn bei der Abschlussprüfung wird nicht nur die Durchführung von Gruppenunterricht und Theoriewissen abgefragt. Darüber hinaus müssen die Prüflinge ebenso ihre Skills in den Springen, Dressur und Military beweisen. «Leider werden wir als J+S Leiterinnen etwas belächelt – aus Unwissenheit. Aber J+S ist weit mehr als eine lustige Kinderponyreitstunde. Es steckt eine sehr intensive Ausbildung und stetige Weiterbildung von uns dahinter. Und auch die Kids bekommen eine erstklassige Ausbildung bis hin zur Goldtest-Prüfung.» erklärt die Aargauerin. Nach der Ausbildung heisst übrigens auch vor der Weiterbildung, denn die LeiterInnen müssen alle zwei Jahre weitere Module besuchen, um stets auf dem aktuellen Stand zu bleiben. So absolviert Caren Schneider derzeit auch die Zusatzausbildung für den J+S Pferdesport Kindersport.
Zusatzausbildung Pferdesport Kindersport
Pferde machen Spass und Kinder lieben sie. Mit der Zusatzausbildung erhalten LeiterInnen die methodischen und pädagogischen Kenntnisse, um 5- bis 10-Jährigen ein kindgerechtes und vielseitiges Training anzubieten. «Als Leiterin ist es meine Aufgabe, die Kinder behutsam und altersgerecht in den Pferdesport einzuführen. Der korrekte und sichere Umgang mit den Tieren ist ein Obligat.» erklärt die Trainerin. Die Zusatzausbildung dauert insgesamt 2 Jahre. Dabei findet im 1. Jahr der 2 x 3 Tage dauernde Vorkurs statt. Gleichzeitig wird idealerweise der Besuch des Moduls Longieren / Bodenarbeit absolviert. Im 2. Jahr folgt der ebenfalls 2 x 3 Tage dauernde J+S-Leiterkurs Kindersport Pferdesport. Brave und ruhige Pferde sind eine Voraussetzung, denn diese können ein wunderbarer Vertrauensverstärker für junge Menschen sein. «Meine zwei Sportpferde geben Gas im Turnier, aber bei den Kids sind sie lammfromme Engel.» verrät die Aargauerin. Es stehen ihr zudem mehrere zuverlässige Privatpferde zur Verfügung, die sie allesamt entsprechend für den Umgang mit den Kindern ausbildet. «Ich bin den Besitzern sehr dankbar, dass sie mir ihre Tiere anvertrauen und mich unterstützen. Sie stehen selbst hinter dem Programm, denn die Teilnahme fördert wichtige Lebenskompetenzen für die jungen Menschen.» berichtet sie.
Theorie und Wissen kreativ und lebendig serviert
Die J+S Kurse finden aufbauend statt und umfassen neben den Reitlektionen auch viele theoretische und praktische Grundlagen am Boden. Am Ende jedes Kurses findet eine Leistungsprüfung statt. «Die Verknüpfung von Theorie und Praxis macht absolut Sinn» bekräftigt die J+S Leiterin «Viele möchten Reiten lernen, doch der Umgang mit Pferden erfordert so viel mehr als mal eben satteln und drauf sitzen.» Weitere Kompetenzen in den Bereichen Unfallverhütung, Pferdegesundheit, Gesetze, Tierschutz, Fütterung, Ethik und vieles mehr sind gefordert, um den Partner Pferd gerecht werden zu können. Mit dem J+S Konzept erhalten Kinder und Jugendliche von Beginn an eine ganzheitliche Ausbildung, die über den reinen Sportaspekt hinausgehen. «Was soll ich tun, wenn das Ross nicht in den Hänger steigen möchte? Woran erkenne ich, dass mein Pferd krank ist? Wie verhalte ich mich, wenn sich ein Freund bei einem Ausritt verletzt? Das sind Situation, die wir in den Kursen und Lagern üben. Und zwar möglichst altersgerecht und lebendig» erörtert die Leiterin. Dabei bedient sie sich vieler Hilfsmittel und kreativer Lernkonzepte, um die Theorie «lecker» zu verpacken. Da wurde eines Tages der Schimmel geschnappt und kurzerhand mit Knochen und weiteren Strukturen bemalt. Beim anschliessenden Frei laufen lassen, lernten die Kids am lebenden Objekt viel über die Pferde-Anatomie. «Lernen mit möglichst allen Sinnen: Hören, Sehen, Fühlen, manchmal auch Riechen und vor allem Fragen, Fragen, Fragen.» verrät uns die J+S-Leiterin ihr Erfolgskonzept.
Die Jagd auf die Badges
Wie zu Beginn des Artikels angekündigt, haben die Kinder des Mittwochkurses eine Mission vor Augen: Das blaue Badge. Das entspricht der Stufe 1 der J+S Ausbildungstreppe und endet mit einer Longen- und Führzügelprüfung. Die Minimaldauer und der Rahmen der einzelnen Ausbildungsstufen werden von dem Bundesamt für Sport BASPRO vorgegeben. Für die Ausbildungsstufe 1 „Blau“ werden mind. 15 Lektionen mit 60 Minuten vorgegeben. «Nach der ganzen Vorbereitung sind Kids sind richtig scharf auf die Abzeichen und sehr stolz drauf, wenn sie eins bekommen!“ berichtet die J+S Leiterin. Das gemeinsame Ziel motiviert sie und es entwickelt sich eine gesunde Gruppendynamik. Die Älteren helfen den Jüngeren, die Erfahreneren den Neuen. „Sie beflügeln sich gegenseitig und arbeiten hart an sich. Unglaublich, was da manchmal für Entwicklungssprünge möglich sind – reiterlich aber vor allem sozial! Da wird aus einem stillen Mäuschen eine selbstbewusste Teamleaderin. Kompetenzen, die auch im Alltag und im späteren Leben nützlich sind.“ erzählt die Trainerin. Wenn nach all der Arbeit die Kids ihr Erfolgsabzeichen erhalten und vor Freude strahlen, glänzen selbst ihr die Augen. „Wir machen aus den Prüfungstagen immer ein wunderschönes Event für die Kids. Da werden die Pferde auf Hochglanz poliert und eingeflochten. Wir laden die Eltern ein, die von der Tribüne aus zusehen können und anschliessend feiern wir bei Kuchen und Getränken. Ein toller Abschluss für jeden Kurs.“
Mit der Bekanntheit haperts
J+S Pferdesport ist ein sehr sinnvolles Konzept und die Nachfrage nach entsprechenden Kursen wächst zunehmend. Ein Wehrmutstropfen bleibt trotzdem. «Fast jeder kennt das Seepferdli-Abzeichen für Kinder. Dass es sowas aber auch im Bereich Pferdesport gibt, wissen leider nicht ganz so viele.» bedauert Carmen Schneider. Dabei sind in der heutigen Welt Pferde vielleicht eines der besten Hilfsmittel, um gesunde Kinder und Jugendliche zu fördern und sie an die frische Luft zu locken. Die Kontrolle und Verantwortung über ein so grosses und sensibles Geschöpf zu übernehmen, herausfordernde Aufgaben zu bewältigen und auch mit Erfolgen oder Niederlagen in Prüfungen umzugehen sind wichtige Lektionen fürs Leben. «Als Mutter ist es mir wichtig, dass meine Kinder mit Pferden aufwachsen. Als J+S Leiterin habe ich die Chance, dass noch mehr Kinder und Jugendliche den sicheren und vor allem korrekten Umgang mit Pferden lernen. Ich stehe absolut hinter dem Konzept.» resümiert die J+S Leiterin. Ob die fehlende Transparenz und Bekanntheit mit der Suche nach solchen Angeboten zusammenhängt? Denn die Recherche nach entsprechenden Lagern und Kursen gestaltet sich als kleine Herausforderung, wie mein Experiment im folgenden Abschnitt zeigt.
Anmelde-Odyssee und ein Nervenzusammenbruch
Wir sind uns einig: solche J+S Angebote im Reitsport sind wirklich sinnvoll und eine tolle Sache. Nun möchte ich für mein fiktives Kind «Susi» inkognito nach entsprechenden Angeboten suchen. Also schnell das Smartphone gezückt: erste Anlaufstelle FNCH Website. Hier heisst es auf entsprechender Seite: «Ob und wann diese Ausbildner Kurse anbieten, können Sie direkt bei diesen Personen nachfragen.» Leider sind «Susi» und ich frisch in die Gegend gezügelt und kennen noch keinen J+S Trainer oder Verein in unserer Nähe. Ich griff zum Hörer und rief direkt bei der BASPRO an. Die Telefonansage verwies mich an das Sportamt meines Wohnkantons. Ok, das dauert mir eindeutig schon zu lange. Aber was mach ich nicht alles für meine kleine fiktive Susi. Beim kantonalen Sportamt hiess es «zurück an die FNCH». Na toll. Leicht frustriert rief ich bei der zuständigen Ansprechpartnerin für die J+S Ausbildungen an. Sie erklärte mir, dass die FNCH für die entsprechende Ausbildung der Leitenden zuständig sei, jedoch nicht für die Verwaltung der entsprechenden Kurse und Lager. Diese müssen bei den kantonalen Sportämtern angemeldet und freigegeben werden. Nun war ich kurz vor dem Zusammenbruch, denn diese Odyssee zog sich nun über ein paar Tage. Ist es denn so schwer zu erfahren, wo ich denn die ausgeschriebenen Lager und Kurse finden kann? Gibt es denn überhaupt eine Übersicht mit den Terminen? «Leider nein» antwortete die freundliche Dame der kantonalen Sportfachstelle für Jugend+Sport. Es gibt keine schweizweite Datenbank, mit allen Daten für angebotene J+S Kurse und Lager für Kinder und Jugendliche. Begründung: Der Aufwand für die Erstellung, Pflege, Wartung sei zu gross und auch datenschutztechnisch müsste dies geprüft werden. Na klasse. Klein Susi muss wohl auf das Lager verzichten. Oder doch nicht?
Kavallo-Website – bitte füttern!
Der einzige Weg, um tatsächlich zu erfahren ob ein Kurs in der Nähe stattfindet, ist es, bei den einzelnen regionalen Reitschulen oder Vereinen nachzufragen. Sie bieten J+S Kurse und Lager an? Gerne können Sie Ihr Angebot kostenfrei auf der Kavallo-Website veröffentlichen! Helfen Sie mit, dieses tolle Konzept zu verbreiten. Link zum Formular: www.kavallo.ch/j+s