Nach der Besiedlung der Neuen Welt durch die Europäer weideten Millionen Rinder und Schafe in der nordamerikanischen Prärie und wie zu jeder Zeit und an jedem Ort, begleiteten Hunde die Menschen und ihre Herden. Hier entstand der Australian Shepherd.
Text Björn Krämer
So mannigfaltig wie die Herkunft der «Neuamerikaner» war auch die ihrer Hunde: Ein lustiges Potpourri europäischer Hütehunde tummelte sich recht bald in den Weiten jenseits des grossen Teichs. Mit dem Import australischer Merinoschafe im 19. Jahrhundert gelangten schlussendlich noch Hütehunde aus «Down Under» mit angeblicher Dingo-Einkreuzung in die USA.
Durch konsequente Selektion auf Arbeitsfähigkeit am Vieh und Robustheit entstand ein Hundetyp, der sich über die Zeit auf Farmen und Ranches von Texas bis Montana allergrösster Beliebtheit erfreute. Mittelgross, mit mittellangem Fell und in oftmals bunter Farbgebung entwickelten sich äusserst taffe, energische und unersetzliche Helfer am Vieh.
Als Rasse indes hätte diese Hunde über eine lange Zeit niemand bezeichnet. Sie waren ein Landschlag, ein sehr verbreiteter Landschlag … Den Sprung zur einheitlichen Rassezucht bereitete erstaunlicherweise ein Unterhaltungskünstler: Jay Sisler aus Idaho.
Er trat auf Rodeos mit einer Hundenummer bestehend aus einem Rudel bunter, einheimischer Hütehunde auf. Um seiner Schar flohbefördernder Bauernhofhunde den nötigen Hauch von Exklusivität zu verleihen, bezog er sich auf die vermeintliche Dingo-Einkreuzung ihrer Vorfahren, bezeichnete seine vierbeinigen Drahtseilartisten als «Australian Shepherds» – Marketing war halt schon immer alles – und weckte damit landesweit ein grosses Interesse an diesen Hunden. Im Zuge der «Westernreitszene» verbreitete sich der bunte Amerikaner mit australischem Namen gegen Ende des 20. Jahrhunderts auch auf dem europäischen Kontinent und auch heute noch erweckt es vielerorts den Anschein, als wären Reiterhöfe DAS natürliche Habitat des Australian Shepherds. Oft gilt er als problemlosere Alternative zu anderen Hütehundrassen, gleichsam als «Border Collie light». Dem weiss aber der typische Aussie oftmals schon im Junghundealter entschieden zu widersprechen. Aber fangen wir von vorne an:
Im Vergleich zum Border Collie – einem inselbegabten Hüteprofi, der eigentlich nix richtig kann ausser Schafe hüten, dies hingegen in einer Perfektion wie keine andere Rasse, war der Einsatz des Australian Shepherds von Anfang an vielseitiger. Neben Schafen verstand er sich genauso auf die Arbeit an Rindern und mimte in seiner Freizeit den durchaus verteidigungsbereiten Wach- und Hofhund.
Dies bringt den tatsächlichen Vorteil mit sich, dass es durchaus möglich ist, einen Australian Shepherd ohne Arbeit am Vieh zufriedenzustellen. Jedoch, und hier schaut der frischgebackene Aussie-Besitzer ganz regelmässig ein bisschen verdutzt aus der Wäsche, bleiben es äusserst mutige, durchsetzungsstarke Hunde, die sehr kreativ dabei sind, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, und dabei auch nicht gerade zimperlich sind.
Aber wer kann es ihnen verdenken?!
War es doch über eine lange Zeit ihre Aufgabe, auch noch dem unkooperativsten Texas Longhorn im Treibgang zu vermitteln: «Du kommst hier nicht vorbei!»
Wer dies als 25-kg-Hündchen ernsthaft versucht, der braucht schon eine ordentliche Portion Schneid und ein unerschütterliches Selbstvertrauen. Denn sind wir an dieser Stelle mal ganz ehrlich: Durch eine freundliche Einladung zu einer Partie «Mau-Mau» lässt sich so ein aufgeschreckter Bulle nun nicht unbedingt überzeugen. Hier bedarf es von Seiten des Hütehundes klarerer Anweisungen, die auch gern etwas lauter vorgebracht werden können, und darauf versteht sich jeder Aussie bestens. Jedoch bleibt er auch im Reihenhausgarten in Wanne-Eickel ein äusserst kommunikatives Bürschchen.
Wer es also nicht erstrebenswert findet, dass der bunte Hütehund jede Blaumeise meldet, die sich in den vorgarteneigenen Kirschlorbeer verirrt hat, wer die Idee nicht ganz so grossartig findet, einen ernsthaften Alarm auszulösen, weil in drei Kilometern Entfernung eine Hundemarke klimpert, der ist gut beraten, die Bellfreudigkeit des vierbeinigen Azubis schon im Junghundealter konsequent in wollen wir mal sagen nachbarschaftskompatible Bahnen zu lenken.
Wie nicht anders zu erwarten, ist auch der Umgang des Australian Shepherds mit seinesgleichen eher von rustikaler Natur. Dies bedeutet nicht, dass Aussies grundsätzlich schlecht verträglich mit Artgenossen sind, aber spätestens, wenn sie ihrem flauschigen Welpenpelz entwachsen sind, entwickeln die meisten von ihnen eine geradezu spiessig anmutende Auffassung davon, welche Art des Umgangs untereinander angemessen ist – und ganz besonders, welche NICHT!
Und ganz klar, der angeflogene Labbi, der zur Begrüssung ohne sich vorzustellen gleich mal unter den Rock gucken will, trifft da eher nicht auf des Aussies Gegenliebe.
Hier bedarf es von Welpenbeinen an kontrollierter, vom Besitzer angeleiteter Hundekontakte. Und die Idee des jugendlichen Aussies, er könne auf der Hundewiese «Streife laufen», um nichtgenehmigte, feuchtfröhliche Retrieverparties aufzulösen, die sollten Sie in diesem Zuge gleich mitbesprechen.
Bedingt durch seine Zuchtgeschichte – auf der Farm in Wyoming kam einfach so selten Gerda Müller mit ihrem grössenwahnsinnigen Terrier an der Flexileine vorbei, «damit die sich mal beschnüffeln können», – ist der Aussie eher etwas für «feste Hundefreundschaften» und kann dem belanglosen «smalltalk» zusammengewürfelter Hundewiesenkontakte meist nicht so viel abgewinnen.
Je nach Zuchtlinie und Persönlichkeit fremden Personen gegenüber eher zurückhaltend bis reserviert, hängt der Australian Shepherd mit einer bedingungslosen Zuneigung an seiner eigenen «Familie», aber Vorsicht, er ist ein ziemlich diskussionsfreudiges Familienmitglied! Zum 89. Mal die Frage klären, wer zuerst durch die Tür geht? Beim gemütlichen Sonntagsspaziergang mal vorsichtig antesten, ob BLEIB auch immer noch BLEIB bedeutet oder ob man heute nicht doch mal als kleiner Punkt am Horizont verschwinden könnte, nur ganz kurz versteht sich, der Aussie ist dabei!
Hier ist von Seiten des ambitionierten Hütehundhalters einiges an erzieherischem Einsatz gefragt – der kleine bunte Wicht an der Leine ist mental dazu in der Lage, ganze Rinderherden zu manipulieren … Er wird es auch bei Ihnen probieren.
Hat man jedoch erst mal eine gemeinsame Sprache gefunden, dann ist der Aussie ein äusserst loyaler Zeitgenosse, der seinen Besitzer nicht für ein schnödes Bockwürstchen eintauschen würde … Bei anderen Rassen wäre ich mir da nicht so sicher – die Beagle-Halter wissen, wovon hier die Rede ist.
Aufgeräumt werden muss an dieser Stelle auch unbedingt mit dem Vorurteil, dass zu einem ausgefüllten Hütehundleben eine Dauerbespassung rund um die Uhr, idealerweise unkontrolliert hetzend hinter einem Ball, zwingend dazugehört.
Der Australian Shepherd ist unzweifelhaft ein aktiver, leistungsbereiter Hund, der dafür brennt, mit seinem Menschen als Team die Welt einzureissen, aber wie so oft ist auch hier ganz klar «WENIGER MEHR». Rassebedingt braucht er nun wahrlich gar keine Nachhilfe darin, angesichts eines sich bewegenden Reizes völlig zu eskalieren. Oftmals ist es gar so, dass der Hund insgesamt immer nervöser und zappeliger wird, je häufiger und regelmässiger er in dieser Art «bespasst» wird. Und dies setzt eine Spirale in Gang («Oh, er ist so unausgelastet, ich muss noch mehr mit ihm machen!»), die Sie nicht brauchen – ich garantiere es Ihnen!
Angezeigt sind hier eher ruhigere Beschäftigungen, die kontrolliert ablaufen und Konzentration von Seiten des Hundes erfordern, wie beispielsweise Fährtensuche, Mantrailing, Rettungshundearbeit oder Longieren.
Insgesamt ist der Australian Shepherd für aktive Personen geeignet, die sich nicht davor scheuen, in manchmal endlos erscheinenden Diskussionen ihrem Hund einen klaren Rahmen zuzuweisen – die Eltern unter Ihnen sind hier klar im Vorteil!
Er benötigt einen menschlichen Partner an seiner Seite, der den nicht immer einfachen Spagat zwischen Auslastung und Aktivität einerseits sowie Ruhe und Konzentration andererseits zu meistern in der Lage ist.
Und es bedarf Verständnis, wohlwollendes Verständnis. Für eine Rassegeschichte, die einen robusten, durchsetzungsstarken, mutigen Hund geschaffen hat, der im Laufe seines Lebens tatsächlich mental erwachsen wird – ja, ja, ich weiss, die Labradorbesitzer können es gerade nicht fassen …
All das erscheint Ihnen sehr sympathisch und Sie sind sowieso auf der Suche nach einer fordernden Betätigung für die nächsten zwölf bis 15 Jahre? Dann scheuen Sie sich nicht, sich bei einem seriösen Züchter ein eigenes Bild zu machen.
Zum Autor: Björn Krämer hat die Hunderunde Kaufunger Wald im Jahr 2011 ins Leben gerufen und somit seine Passion zum Beruf gemacht. Seit seiner Jugend ist er ohne Unterbrechung leidenschaftlicher Hundehalter. In dieser Serie porträtiert er Hunderassen, die in Schweizer Reitställen häufig anzutreffen sind, auf humoristische Art und Weise. www.facebook.com/bjorn.kramer.581