Auch im Kavallo geht es um das Corona-Virus und was es mit unserem Rösseler-Alltag anrichtet. Städter, tier- und naturferne Menschen tun sich aber offenbar schwerer mit dem Abstandhalten, dem ‘physical distancing , das ja nur zwischen Menschen gilt. Eine der brillantesten NZZ-Journalistinnen schrieb vor kurzem einen trauerreichen Artikel darüber, wie grauslich es doch für die Menschen sei, wenn sie sich nicht berühren dürften. Als einzige Alternative erwähnt sie Kunst und Bücher, durch die man sich ja auch ‘berühren’ lassen könne. Aus der Sicht eines naturnahen Landeis schwankt man zwischen Kopfschütteln und Mitleid. Haben denn die armen, menschenfokussierten Städter noch nie mit Tieren geknuddelt, noch nie mit Katzen, Hunden, Pferden rumgealbert, rumgeschmust, sie umarmt und – etwas vom Schönsten – an den ganz feinen Stellen seitlich der Pferdenüstern geschnuppert? Oder wenigstens Pflanzen angefasst, sich ins Gras geworfen, sich vom Wasser berühren, sich von der Sonne streicheln lassen? Haben sie noch nie das Ernten, Verarbeiten, Zubereiten von Nahrung erlebt – alles doch mit viel sinnlicher Berührung verbunden? Auch die Berührung von Dingen kann aussen und innen starke Empfindungen auslösen: Steine, Holz, Schmuck, Stoffe – wer sich auskennt, spürt schon bei der ersten Berührung, worum es sich handelt, das taktile Erkunden von Dingen ist nicht nur bereichernd, es kann auch zu wichtigen beruflichen Kompetenzen gehören. Eine Freundin von mir ist Profigeigerin. Seit Kindsbeinen verbringt sie sechs bis acht Stunden täglich mit ihrem wundervollen alten Instrument. Braucht es da soviel Phantasie, sich vorzustellen, dass nur schon die Berührung ihrer Geige sie beglückt, sie auf die Kommunikation, den Dialog mit ihrem Instrument einstimmt? Und wenn ich an die zärtliche Art und Weise denke, wie ein autoaffiner Freund die ‘Hüften’ seines Ferraris streichelt, so gehört auch dies eindeutig zu den ihn beglückenden Berührungen.
Wenn das fragwürdige Theater rund um das hochgejubelte Angsterzeugerlein beim einen oder anderen anthropozentrischen Städter die Idee geweckt hat, dass man sich zur Abwechslung auch einmal vermehrt auf die reiche Mitwelt, auf alles ausserhalb der kleinen Welt der Zweibeiner einlassen, sich äusserlich und innerlich berühren lassen könnte, und dort, wo es ihm seine Scheu, seine Angst, seine Verkorkstheit ermöglicht, auch selbst versuchen könnte, die nichtmenschliche Mitwelt aktiv zu berühren, so hat auch das im übrigen bei mir eher durchgefallene Theaterstück ‘Corona’ etwas Gutes bewirkt. Vielleicht sollten wir Landleute etwas Entwicklungshilfe machen und mit fahrbaren Streichelzoos durch die Städte pilgern? Aber wahrscheinlich kommen dann nur die kleinen Mädchen raus, die sowieso schon tiernärrisch sind und – kaum erwachsen – der Stadt den Rücken kehren werden.
Christoph Meier, Güttingen