Friedliches Schnauben, zickiges Wiehern, hier und dort ein verhaltenes metallisches Tack, Tack, Tack – vertraute Pferdegeräusche. Zum Kloster Einsiedeln gehören sie seit 950 Jahren. Nur einmal in der fast 1000-jährigen Geschichte waren die Ställe leer, als die Franzosen 1798 unter General Schauenburg die Klosterstallungen bis auf den letzten Fohlenschwanz als Kriegsbeute räumten und sich die schönsten Pferde gegenseitig zum Geschenk machten. Drei Jahre vergingen, bis dem Kloster wieder ein erstes Rösslein zur Verfügung stand. In jeder Beziehung stand das mächtige Benedktinerkloster vor einem Neuanfang. Für den Wiederaufbau der Zucht suchte es bei den zinspflichtigen Bauern in der Umgebung nach Pferden und verfügte sieben Jahre später über 21 Fohlen, Jungtiere und Mutterstuten. Auch wenn die Qualität noch nicht befriedigte, der Bestand wuchs kontinuierlich an und die Erlöse aus der Pferdezucht übertrafen bald die Aufwendungen für den Ankauf.
- Aus dem Kavallo-Archiv von 2014
Kaiserliche Ermächtigung
Der Grundstein für eine Pferdezucht in Einsiedeln wurde am 23. Februar 1064 gelegt, als Kaiser Heinrich IV. dem Kloster die gleichen Rechte verlieh wie dem Stift St. Gallen. Dazu gehörte auch das Amt eines Marschalls, der den Abt mit bis zu zwölf Pferden auf dessen Reisen zu begleiten und die Oberaufsicht über das Gestüt hatte. Im aufkommenden Rittertum um 934, als das Kloster Einsiedeln gegründet wurde, waren Pferde ein unentbehrliches Reisemittel. Eine enge Beziehung zum Pferd brachten die Mönche mit, denn ohne Ausnahme entstammten sie dem Adels- und Ritterstand. Die klösterliche Pferdezucht florierte, was die Zahl der Pferde wachsen liess und den Bedarf an Weidegebieten erhöhte. Doch das führte zu Konflikten um die Allmendgebiete mit der Schwyzer Bevölkerung und im Jahre 1314 zu einem Klostersturm. An verschiedenen Orten wüteten, raubten, plünderten die Schwyzer Bauern und nahmen die verängstigten Mönche und Knechte gefangen.
Begehrte Pferde aus Einsiedeln
Für die Klöster war Pferdezucht eine wichtige Einnahmequelle. Der Zürcher Historiker Urs Alfred Müller-Lhotska hält in seinem Buch «Das Pferd in der Schweiz» fest: «Eine rationell und in grösserem Umfang betriebene Stuterei stellte in der damaligen Zeit ein gewinnbringendes Unternehmen dar. Ein Gestütswesen musste aber in der Lage sein, auch in Zeiten schlechter Ernten verbunden mit hohen Hafer- und Heupreisen die in der Wachstumsphase stehenden und daher wohlfeilen Füllen weiterzuziehen.» Dokumentiert wird diese Feststellung durch eine Rechnung aus dem Jahre 1513. Darin ist von zwei niederländischen und friesländischen Pferden die Rede; zudem zeigt sie auf, dass Abt Konrad nicht nur Zucht, sondern auch Handel betrieb. Ohne Verlust war Pferdehandel schon damals nicht zu betreiben: Fast 700 Gulden blieb der Markgraf von Mantua dem Kloster für die Lieferung von 14 Pferden ewig schuldig.
Das Gebiet um Einsiedeln bot sich dank ausgedehnten Weidegebieten für die Pferdezucht geradezu an. Denn nicht nur das Kloster, auch Bauern hielten sich Pferde. Mit nicht weniger als 400 Pferden sollen die Schwyzer einmal auf ein Stiftsgut eingedrungen sein, um an die Heuvorräte zu kommen. Im Kloster Einsiedeln schien man schon früh ein gutes Gespür für die Pferdezucht gehabt zu haben. Als Abt Gerold im Jahre 1464 mit 22 Pferden zu Papst Pius II. unterwegs war, sorgte er in der italienischen Stadt Firenzuola für einen Tumult. Grund sollen die schönen Pferde gewesen sein, die er mit sich führte. Italien war für die «Cavalli della Madonna» aus Einsiedeln ein hervorragendes Absatzgebiet. Der Bedarf an Reittieren war in der Zeit des Hochmittelalters auch entsprechend gross, musste doch ein Ritter über mindestens drei Pferde verfügen, um den Pflichten seines Standes nachkommen zu können.
Erstes Zuchtbuch
Wie hoch der Stellenwert der Pferdezucht im Klosterbetrieb war, bestimmten über all die Jahrhunderte hinweg der amtierende Abt und der Statthalter. Exakte Zahlen zum Pferdebestand liefert erstmals ein Verzeichnis aus dem Jahre 1589: 17 Zuchtstuten, 8 Einjährige, 3 Zweijährige, 1 Dreijähriger, 4 Saumrosse, 3 Karrenrosse, 4 Marstall-Reitrosse. Das erste eigentliche Zuchtbuch führte im Jahre 1655 Pater Joseph Reider ein, der damalige Statthalter im Stift. Wohl sind darin die Abstammungen der Pferde ersichtlich, die uns bekannten Anforderungen an ein Zuchtbuch werden aber noch nicht erfüllt. Registriert wurden die Tiere als «Weissfuss vom Neapolitaner», «Bläsi vom Wolfegger», «Schwedli ab dem Etzel» oder «Jung Büggelstute». Als wichtigste baugeschichtliche Epoche wird für Einsiedeln das 18. Jahrhundert bezeichnet, als der Neubau des Klosters erfolgte. Schwerarbeit zu leisten hatten auch die Klosterpferde: In 1000 Fuhren schleppten sie die Sandsteinplatten heran und wurden dafür mit einem neuen Stall belohnt. Der prächtige Marstall mit den Kreuzgewölben ist einzigartig.
Fremde Hengste
Wie bei anderen Rassen auch suchte man in Einsiedeln das Züchterglück oftmals über die Zufuhr fremden Blutes. An Auswahl fehlte es nicht: Deckhengste italienischer, friesländischer, spanischer oder gar türkischer Herkunft kamen ins Kloster. Die Hengste wurden zudem gegen Deckgeld «Schwyzern, Höfnern, Märchlern und Einsiedlern» zur Verfügung gestellt. Nicht immer brachten die Einkreuzungen den erhofften Erfolg. Statthalte Pater Isidor Moser begann deshalb 1784 ein umfassendes Gestütsbuch anzulegen und auf der alten Landesrasse basierend über Reinzucht die Einheit des Klosterpferdes wiederherzustellen. Diese Blüte dauerte allerdings nicht lange, denn 1798 wurden durch die französischen Raubzüge alle Bemühungen zunichte gemacht.
Gezüchtet wurde in Einsiedeln nicht allein aus Passion, sondern ebenso aus wirtschaftlichen Überlegungen, was sich im Zuchtziel niederschlug. Nebst Reitpferden benötigte man Mitte 18. Jahrhunderts stets auch Litierenpferde, die sich zum Tragen einer Sänfte eigneten. Nach der Einführung der Deichselwagen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stellte sich eine steigende Nachfrage nach «starken und dauerhaften Pferden» ein. Der Bedarf an Saumtieren dagegen nahm rasch ab, als die Strasse von Pfäffikon her gebaut war.
Wesentlichen Einfluss auf die Pferdezucht im Kloster nahmen in der -ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die veränderten Verkehrsverhältnisse. Bessere Strassen bewogen das Kloster, um 1820 das erste Sprengwägelchen anzuschaffen, knapp 20 Jahre später folgte die erste Chaise.
Die Qualität der Zucht befriedigte weiterhin nicht, was 1840 zum Gestütsbuch A mit einem «Register über die Zuchtpferde der löblichen Statthalterei Einsiedeln von 1840 und folgenden Jahren» führte. Der Höchstbestand wurde 1841 mit 154 Pferden erreicht. Doch die Qualität konnte noch nicht mithalten: An der Pferdeausstellung 1865 in Aarau beklagte man sich über den teilweise unbefriedigenden Stand der schweizerischen Landespferdezucht, was den Bund drei Jahre später bewog, Massnahmen zur Förderung der Pferdezucht zu ergreifen. An einer Verbesserung interessiert zeigte sich der Bund unter anderem aus militärischen Gründen. 1890 gründete er das Hengstendepot in Thun, das 1900 nach Avenches verlegt wurde, und stellte von dort aus Deckhengste zur Verfügung.
Suche nach neuen Hengsten
In Einsiedeln nahm man diese Kritik ernst, legte 1865 ein Gestütsbuch B an und suchte nach neuen Hengsten. Grossen Erfolg hatte man mit dem
in England angekauften Yorkshire Hengst Bracken sowie den Anglonormännern Corail, Sohn eines Vollblut-arabers, und Egalité, der viel zu einer Konsolidierung beitrug. Der Erfolg blieb nicht aus, wie ein Brief des Abteilungschefs des Landwirtschaftsdepartementes Müller in Bern zum Ausdruck bringt: «Ich glaube, Sie haben noch nie so wertvolle und leistungsfähige Pferde besessen wie jetzt.» Und der Direktor der Pferderegieanstalt in Thun, Oberst Vigier, schrieb 1902: «Ich füge bei, dass jeder Pferdekenner -diesen edlen Produkten seine volle -Bewunderung zollen muss.» Mit Prämien und Medaillen kehrten die Klosterpferde von den nationalen Ausstellungen zurück.
Nach dem guten Erfolg mit dem Hengst Bracken setzte das Kloster Anfang des 20. Jahrhunderts weiter auf englische Halbbluthengste aus der Hackneyrasse. Am besten zu den Einsiedlern passten aber die Anglonormänner, weshalb ab 1922 nur noch solche eingesetzt wurden. Es hatte sich zudem ein Wandel in der Geschmacksrichtung eingestellt, wie Oberst Markwalder 1908 festhielt, und zwar in einer Weise, dass normännisches Halbblut vorgezogen wird.