Corona und der Reitsport

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Nachwuchskader Springsport Schweiz. (© Can Stock Photo / Kapai)

Kavallo befragte zwei Rösseler zum Leben mit und trotz Corona:

  • die Reitlehrerin und Musikerin Susanne Jerkovits, Gamprin LI www.reitkunst-sg.com
  • den Sportarzt, Reiter, Golfer und politisch aktiven Lobbyisten für den Sport Dr. med. Bernhard Sorg, Wallisellen

Kavallo: Für die Rösseler waren die einschneidendsten Massnahmen die Schliessung der Vereinsanlagen, das Verbot des Unterrichts und das Verbot des sportlichen Trainings. Fanden Sie das richtig und hilfreich, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern? Wenn ja, warum? Wenn nein, weshalb nicht?

Susanne Jerkovits und Chardonnet

Susanne Jerkovits und Chardonnet. (Bild zVg)

Susanne Jerkovits: In den ersten zwei Wochen, als man noch überhaupt nicht einschätzen konnte, wie sich die Infektions-Kurve und somit die Situation in den Spitälern entwickeln wird, fand ich die Massnahmen durchaus gerechtfertigt. Sowohl das Argument des Unfallrisikos, als auch das Argument der Ansteckungsgefahr. Ich finde es auch nachvollziehbar, dass derzeit kein Gruppenunterricht in Reitschulen/Vereinsanlagen oder Mannschaftstraining in anderen Sportzentren stattfinden darf. Dass aber auch der Einzelunterricht unter das „Veranstaltungsverbot“ fällt, ist für mich bis heute unverständlich. Ich gebe ausschliesslich Privat-Lektionen und treffe mich teilweise mit Kunden auf ihren ganz privaten Anlagen, oder in Pensions-Betrieben, welche ja selbst entscheiden dürfen, ob sie Externe auf den Hof lassen. Dabei habe ich keinerlei Körperkontakt zu meinen Schülern und zähle mich als selbständige Reitlehrerin ebenfalls zu den „Personenbezogenen Dienstleistern“. Sobald das erste Tattoo-Studio wieder eröffnet oder sich jemand in einem Kosmetik-Studio die Augenbrauen zupfen lassen darf, muss man den Einzelunterricht auch wieder erlauben. Wir Reitlehrer hängen nicht direkt über dem Gesicht eines Kunden und das Verbot von Einzelunterricht war aus meiner Sicht von Anfang an übertrieben, da die Besitzer die Pferde ja trotzdem artgerecht bewegen sollten.

Auf Einzelunterricht umschwenken zu können, hätte vielen Reitschulen zumindest die Möglichkeit gegeben, einen Teil ihres Betriebes am Laufen zu halten und die finanziellen Schäden etwas abzufangen ohne dabei mit entsprechenden Massnahmen und Vorgaben der Eindämmung des Virus entgegen zu wirken. Dem einen oder anderen Schüler hätte eine teurere Einzellektion alle zwei Wochen vielleicht auch mehr gebracht als eine wöchentliche Vereins-Gruppenstunde oder gar kein Unterricht über mehrere Wochen. Ich gehe davon aus, dass jemand gesund ist, wenn man sich „fit fürs Reiten“ fühlt und was die Ansteckungsgefahr angeht, bin ich weiter von meinen Schülern entfernt als von der Kassiererin im Supermarkt und zudem noch im Freien oder einer grossen Reithalle.

 Dragoner Bernhard Sorg mit El Dogan, 1972 in Dübendorf. (Bild zVg)

Dragoner Bernhard Sorg mit El Dogan, 1972 in Dübendorf. (Bild zVg)Bernhard Sorg: Nein, damit hat man kaum eine einzige Ansteckung verhindern können. Spätestens nach Ostern hätten diese Massnahmen gelockert werden können. Die Intensivstationen waren leer, ein Teil des Personals unterbeschäftigt. Wer im Reitunterricht verunglückt, landet vornehmlich beim Knochenschlosser und nicht auf der Intensivstation. Die gefährlichen Unfälle bei den Rösselern ereignen sich im falschen Umgang mit dem Pferd. Fehlerhaftes Verhalten ist meist schuld. Im Unterricht mit bis zu vier Schülern sehe ich keine Ansteckungsgefahr, wenn man sich vorher und nachher korrekt verhält (physische Distanz). Die Virenschleuder reicht knapp einen Meter weit (Husten, Niesen, Atmen, Sprechen) und auf Gras, Sand oder Hallenboden überlebt das Virus nicht.

Kavallo: Haben die Behörden die Massnahmen jeweils im richtigen Zeitpunkt an die aktuelle Datenlage angepasst?

Susanne Jerkovits: Die Verhältnismässigkeit und Begründung des Verbotes von Einzelunterricht entzieht sich meinem gesunden Menschenverstand und trifft auch in meinem weiteren Bekanntenkreis, welcher mit Pferden nichts am Hut hat, auf Unverständnis. Ich darf mit 2 m Abstand mit jemandem durch den Wald laufen, aber nicht mit einem Schüler auf einem Reitplatz stehen, der mehr als 10 Meter um mich herumreitet. Für ebenso sinnlos halte ich dieses Verbot natürlich auch für andere Outdoor-Sportarten wie z.B. Tennis oder Golf. Das Argument, dass es moralisch verwerflich wäre, seinem Hobby nachzugehen, während Erkrankte sterben oder Menschen in den Spitälern um deren Überleben kämpfen, entspringt einer Doppelmoral, die ich nicht teile. Dann dürften wir alle keinen Spass mehr am Leben haben, wenn wir uns die Welt auch unabhängig von Covid 19 einmal anschauen. Natürlich sollte man in einer Krise auf unnötige Annehmlichkeit verzichten. Unsere Pferde können aber auch in der Krise nicht auf uns verzichten und angesichts der Entwicklungen (Spitäler schickten Mitarbeiter in Kurzarbeit oder in den Zwangsurlaub) war das Verbot nach weniger als einem Monat überholt und hätte sofort wieder aufgehoben werden sollen, um einen grösseren finanziellen Schaden aller Selbständigen und der Reitschulen abzuwenden.

Einerseits sind wir dazu angehalten, die Pferde artgerecht und gesund erhaltend zu bewegen, andererseits darf sich niemand dabei helfen lassen. Gerade unter Freizeitreitern, zu denen meine Schüler gehören, gibt es einige noch sehr unerfahrene Pferdebesitzer, welche sich zum Beispiel bei mir Hilfe und Unterstützung einholen. Diese während des Lock-Downs alleine „herumexperimentieren“ zu lassen, halte ich für ein grösseres Risiko, als unter Aufsicht eines Profis, der im Zweifel auch einmal „übernehmen“ könnte. Der Ratschlag, dass unsichere Reiter überhaupt nicht reiten sollten, war sehr realitätsfern. Die Leute sind ausserdem erfinderisch.

Ich bekam Videos von stolzen Schülern, wie toll ihr Pferd in der „Fahrstunde“ an der Kutsche geht. Dabei sassen sie direkt neben dem Fahrlehrer. Fahrstunden wurden ja nicht „spezifisch“ verboten – zumindest wurde das nicht so publik gemacht. Eine Ausfahrt mit der Kutsche ist ja nach wie vor erlaubt, solange man nicht gegen das Versammlungsverbot verstösst. Wer kann als Aussenstehender schon sagen, ob das der Fahrlehrer ist, der da daneben sitzt?

Auch nahmen einige Reiter die „Gratis-Hilfe“ von Kollegen in Anspruch, welche weniger erfahren oder kompetent sind als ein geschulter Reitlehrer, aber munter ihre Ratschläge und Tipps über den Reitplatz riefen, während ich zum „Nichtstun“ verdammt war. Ich konnte nicht einmal etwas dagegen sagen, denn es war ja durchaus „erlaubt“, dass sich zwei Menschen unter Einhaltung des notwendigen Abstandes unterhalten und der eine dem Anderen ein paar „Tipps“ gibt. Ob dies nun geboten oder „vernünftig” war, sei mal dahin gestellt. Sobald ich das als Reitlehrerin gemacht hätte, hätte ich mich strafbar gemacht. Dieses Verbot hat definitiv mehr geschadet als genützt.

Bernhard Sorg: Sie waren etwas übervorsichtig. Vor allem das repetitive “Bleiben Sie zuhause!” hat geschadet. Besser wäre gewesen “Gehen Sie nicht fort!” Viele Leute waren verunsichert und trauten sich kaum an die frische Luft. Bei diesem Wetter, das wir hatten, stärkt man draussen im Sonnenschein sowohl sein Immunsystem wie seine Abwehrkräfte.

Kavallo: Haben sich die Reitsportverbände im richtigen Masse bemüht, den Schaden für das Wohl der Pferde, den Schaden für die Reitsportbetriebe und den Wettkampfsport in Grenzen zu halten?

Susanne Jerkovits: Ich bin ja offensichtlich zum Dank verpflichtet, dass wir wenigstens zu unseren Pferden gehen und diese selbst versorgen durften. Andererseits halte ich dies für eine Selbstverständlichkeit und hätte mir dies vermutlich auch trotz eines Verbotes nicht nehmen lassen, solange ich nicht selbst infiziert bin oder irgendwelche Symptome zeige. Ich habe schliesslich mit dem Erwerb eines Pferdes eine gewisse Verantwortung dem Tier gegenüber und daher fühle ich mich auch selbst dazu verpflichtet, gesund zu bleiben und alle Massnahmen gewissenhaft einzuhalten. Für mich, die Gesellschaft und meine Pferde. Diesem Vorsatz hätte ich auch mit Einzellektionen Sorge tragen können.

Zum Wettkampfsport kann ich leider gar nicht so viel sagen, da ich selbst keine Turniere bestreite und es in meiner Arbeit mit den Schülern auch eher um den Aspekt der Sicherheit (Hilfe bei Problemen) und der Gesunderhaltung im Rahmen einer guten Gymnastizierung der Pferde geht. Ich nehme mal an, dass dies selbst einem guten Springreiter/In wichtig ist, auch wenn man mal keinen Parcours bestreiten kann. Meine Arbeit steht oft in Kombination oder Ergänzung zu einer Pferdephysiotherapie. Die Physiotherapeuten durften ja nach wie vor (zum Glück) auf die Höfe kommen, dass aber scheinbar auch Sattler gezwungen waren, Termine vor Ort aufzuschieben, (dies weiss ich nur aus einer Quelle), halte ich ebenfalls für reichlich übertrieben. Da staut sich Arbeit an, welche zu langen Wartezeiten führt und gesundheitliche Folgen für die Pferde nach sich ziehen kann.

Was die Hilfen für die Reitbetriebe und Vereine in der Schweiz angeht wird sicherlich das Bestmögliche unternommen, um diese vor dem Bankrott zu retten. Wie die Massnahmen dann letztendlich greifen, wird sich zeigen. Die Ungewissheit und lange ausbleibende Antwort vom Bundesrat ist allerdings eine unbeschreibliche Geduldsprobe für alle selbständigen Reitlehrer und Reitschulbetriebe. Dafür habe ich bedingt Verständnis. Die haben wohl gerade einiges zu tun. Nach der Medienkonferenz des Bundesrates vom 22. April 2020, bei der allgemein angemerkt wurde, dass Sport ohne Körperkontakt ab Anfang Mai wieder erlaubt sei, war auf der Homepage des BVL abermals zu lesen, dass das Verbot von Reitunterricht und Einzelunterricht unter das Veranstaltungsverbot fällt und bis auf Weiteres verboten sei. Für mich persönlich ein Schlag ins Gesicht. Hier hatte ich mir mehr Durchschlagskraft des SVPS gewünscht und auf einen schnellen positiven Bescheid seitens des BLV gehofft.

Es fehlt im Freizeitsport wohl eindeutig an einer Lobby, welche dem Bundesrat überdeutlich klar macht, dass eine schnellstmögliche Lockerung der Massnahmen für Reitschulen und selbständige Reitlehrer, welche nicht unbedingt im „Spitzensport“ tätig sind, allerdings einen wichtigen Job an der Basis haben (analog zu anderen Sportarten ohne Körperkontakt), die schnellste und beste Hilfe wäre, damit wieder Geld in die Kassen der Betriebe fliesst und man den einen oder anderen Notkredit dann vielleicht doch nicht benötigt, für den sich der Bundesrat so ins Zeug gelegt hat. Diese Kredite helfen vielleicht den Vereinen und Verbänden über eine schlechte Saison, allerdings kaum denjenigen, die ihr tägliches Brot und den Unterhalt der Pferde mit Reitstunden verdienen. Ich wüsste nicht, mit was ich einen Kredit zurückzahlen sollte. Als Einzelunternehmen kann ich auch nicht einfach doppelt oder dreimal so viel arbeiten, wie ohnehin schon, wenn es „normal“ läuft.

Ich hoffe sehr, dass der Antrag für die Unterstützung der Reitschulen beim Bundesrat Gehör findet. Ich selbst wohne in Liechtenstein, wir haben keinen Verband, daher werde ich nicht davon profitieren können.

Bernhard Sorg: Das kann ich nicht beurteilen. Der Brief des Reitlehrerverbands Swiss Horse Professionals war jedenfalls gut. Er hätte allerdings viel früher verfasst werden und an die Sportministerin, Bundesrätin Viola Amherd, oder an ihre nächsten Mitarbeiter gerichtet werden sollen. Für die ganze Politik und die zugehörigen Journalisten war “Sport” bis vor wenigen Tagen gar kein Thema. Er war völlig in Vergessenheit geraten, obwohl es über zwei Millionen Sporttreibende gibt in der Schweiz.

Kavallo: Wenn Sie selbst die Vollmachten des Bundesrates besessen hätten: Hätten Sie alles, was den Pferdebereich betrifft, genau so gemacht? Wenn ja, warum? Wenn nein: was hätten Sie anders gemacht?

Susanne Jerkovits: Ich hätte nach spätestens zwei Wochen Rahmenbedingungen geschaffen, unter deren Voraussetzungen der Einzelunterricht (in allen Sportarten, die im Freien und ohne körperlichen Kontakt ausgeführt werden können) wieder gestattet gewesen wäre. Ich bin mir sicher, dass die Betriebe und Vereine entsprechende Lösungen gefunden hätten, dies unter Einbezug der nötigen Massnahmen (Zugangsbeschränkungen der Anlagen, terminliche Koordination, Hygiene und Abstandsregeln) eigenverantwortlich umzusetzen, ohne sich selbst, die Mitglieder oder ihre Kunden einem gesundheitlichen Risiko auszusetzen. Es klappt ja in den Betrieben intern auch sehr gut und alle Massnahmen werden gewissenhaft umgesetzt.

Bernhard Sorg: Ich hätte allen angeraten, ausgedehnte Ausritte zu machen, Trainings besser im Freien als in der Halle abzuhalten und die Pferde zu gymnastizieren, damit ihre Muskulatur für den Sport nicht verkümmert.

Das Interview führte Christoph Meier.

 

 

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