Martin Fuchs nimmt die Zwangspause derzeit noch gelassen. Mit seinen Pferden kann der Bietenholzer gut arbeiten. Aber auch ihm fehlen Einnahmen. (Bild: Kavallo-Archiv)
Von Florian Bolli
Es wäre jetzt eigentlich so richtig losgegangen für Martin Fuchs. Erst mit dem Höhepunkt der Hallensaison, dem Weltcup-Final in Las Vegas. Dann mit vielen Freiluftturnieren und mit dem Jahres-Highlight Olympia. Doch nun ist der Weltranglistenzweite nicht ständig auf Achse, sondern im heimischen Wängi. Und vorerst verfolgt er keine sportlichen Perspektiven. «Es ist schade, weil ich mit Clooney eigentlich super im Schuss bin», sagt Fuchs. «Aber das bin ich seit drei, vier Jahren. Warum also nicht auch noch nächstes Jahr?»
Im Sattel von Clooney feierte Fuchs seine grössten Erfolge; WM-Silber 2018, EM-Gold 2019, den Vorstoss an die Weltranglistenspitze im Januar dieses Jahrs. Derzeit liegt er an zweiter Stelle hinter Steve Guerdat – und das wird auch eine ganze Weile so bleiben. Noch ist völlig offen, wann wieder Turniere geritten werden können. Und es geht Fuchs wie allen anderen, wenn er sagt: «Ich würde sehr gerne wieder auf Turniere gehen, im Mai schon – hoffentlich aber wenigstens im Juni oder spätestens im Juli.»
«Wir können reiten, wir können unsere Pferde bewegen, und wir können trainieren. Wir sind eigentlich in einer glücklichen Lage.» (Martin Fuchs)
Bis die Normalität aber zurückkehrt, stecken Fuchs und seine Pferde in Wängi quasi fest. Dem 27-Jährigen kommt die Zwangspause nicht ungelegen. «Mir geht es gut, und ich gewinne der Sache derzeit auch viel Positives ab.» Der Reisestress fällt weg – und Fuchs hat mehr Freizeit daheim. Viel davon verbringt er mit seiner Freundin Paris Sellon. «Wir puzzeln, machen Spaziergänge, kochen zusammen.» Vor allem Letzteres ist ungewohnt. «Das machen wir sonst nie, weil wir meistens nur Montag und Dienstag daheim sind. Wenn man da gross einkaufen geht, kann man vieles gar nicht bis zum nächsten Wochenende behalten, weil die Sachen verderben. Man kann sich gar nicht richtig einrichten.» Insofern ist der Ausnahmefall für Fuchs auch eine willkommene Abwechslung, die er etwa für vermehrte Joggingrunden nutzt.
Das schöne Wetter hilft
Da wäre beispielsweise, dass der Betrieb im Stall Fuchs nicht so stark eingeschränkt ist – eigentlich fast nicht. Denn Social Distancing muss zwischen Mensch und Pferd nicht beachtet werden. «Wir können reiten, wir können unsere Pferde bewegen, und wir können trainieren», sagt Fuchs, «wir sind eigentlich in einer glücklichen Lage.» Die einzige Einschränkung: Nicht mehr als fünf Personen gleichzeitig sollen sich in der Halle oder auf dem Platz aufhalten. «Das machen wir, obschon es eigentlich eine grosse Fläche ist», sagt Fuchs. Bis zu zwölf Personen sind phasenweise gleichzeitig unterwegs. Dank dem guten Wetter können sie sich derzeit auf drei Plätze verteilen. «Hätten wir nur die Halle zur Verfügung, kämen wir zeitweise an den Anschlag.»
Dem guten Wetter ist es auch zu verdanken, dass die Pferde nicht viel davon mitbekommen, was eigentlich los ist. «Sie fressen genau gleich», sagt Fuchs lachend. «Im Winter, wenn wir nur in der Halle reiten, merkt man schon, dass die Motivation leidet und der Vorwärtsdrang limitiert ist. Aber wenn wir rauskönnen, sind die Pferde genug frisch. Es geht ihnen auf jeden Fall gut.»
Und sie sind auch gefordert. Um Abwechslung in den Trainingsalltag zu bringen, gibt es auch schon mal einen «Concours daheim» – also ein simuliertes Turnier. «Wir haben einen Parcours aufgestellt, mit Nummern und allem Drum und Dran, was wir sonst hier eigentlich nie machen: anreiten und anspringen in der Halle, dann den Parcours draussen absolvieren – wie ein richtiger Wettkampf eben.» Für die routinierteren Pferde ist das weniger wichtig – sie haben genug Erfahrungen mit Wettkampfsituationen. Für die jüngeren Pferde ist diese Abwechslung aber gut. «Wir sahen, dass das eine oder andere Pferd einige Probleme mehr hatte als unter normalen Trainingsbedingungen.»
Dabei geht es nicht darum, die sprichwörtliche Schraube mit einem höheren Schwierigkeitsgrad anzuziehen. «Wir wollen die Pferde aus dem Trott herausbringen. Im Normalfall reiten wir zuerst eine halbe Stunde auf demselben Platz, bevor wir springen. Nun soll für die Pferde alles neu sein, wenn sie auf den Parcours kommen – obschon sie den Platz kennen.»
Kein Zusatzstress
Derzeit läuft also fast alles wie nach Plan – mal davon abgesehen, dass die Reisen an die Turniere wegfallen. Dass der Stress für ihn grösser wird, wenn wieder gestartet werden kann, glaubt Fuchs nicht. «Klar, weniger wird es nicht. Aber ich bin sowieso jede Woche an Turnieren», sagt der Bietenholzer. Woche für Woche wären eigentlich Starts an grossen Turnieren geplant – auch, weil Fuchs über ein breites Kader an Pferden verfügt, die «im fortgeschrittenen Alter sind», wie er es formuliert. Solche eben wie sein 14-jähriges Spitzenpferd Clooney. «Sie sind alle parat, schwere Aufgaben zu meistern», sagt Fuchs. «Darum würde ich fast ausschliesslich an Fünfsterneturnieren starten». Viel Vorlaufzeit bräuchten seine Paradepferde nicht. «Wir machen einen Aufbau daheim, damit sie parat sind, gross einzusteigen, wenn es wieder losgeht.»
Bis dahin verdient Fuchs kein Preisgeld. Zwar fallen derzeit auch die Reisekosten für die Turniere weg, und Fuchs sagt: «In den letzten paar Jahren habe ich gutes Geld verdienen können mit den Preisgeldern.» Doch es sind nicht nur diese Einnahmen, die nun fehlen, sondern auch der Pferdehandel ist betroffen. Zwei Pferde waren zuletzt so gut wie verkauft, «es konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen – dann kam Corona, und der Deal fiel ins Wasser», sagt Fuchs.
Es überrascht nicht, dass auch im Familienbetrieb gut kalkuliert werden muss. Rund zehn Personen – inklusive Martin Fuchs und seine Eltern Thomas und Renata – arbeiten auf dem Hof in Wängi. Preisgelder und der Pferdehandel sind die Haupteinnahmequellen, dazu kommen Einnahmen von Kunden, die ihre Pferde im Stall stehen haben. «Das ist stabil, aber natürlich nicht allzu viel», sagt Fuchs. Über Kurzarbeit wurde bereits nachgedacht. «Entschieden haben wir aber noch nichts.»
Dennoch: Je früher es wieder losgeht mit den Springturnieren, um so besser. Fuchs rechnet damit, dass einige Turniere auch ohne Publikum durchgeführt werden. «Auf nationaler Ebene kann ich mir das gut vorstellen, aber auch international. Es gibt einige grosse Turniere, die ohnehin nicht extrem viel Publikum anziehen.» Sportlich wird er auch ohne Olympia noch Perspektiven haben.
Auf den Rolex Grand Slam der Springreiter möchte er das Hauptaugenmerk legen. Dazu zählen der CHIO Aachen, das Spruce Meadows Masters in Calgary, der CHI in Genf und The Dutch Masters in ’s-Hertogenbosch. Das System ist unabhängig vom Kalenderjahr: Drei Turniersiege in Folge werfen neben dem Preisgeld eine Million Euro zusätzlich ab, ein vierter Sieg gibt noch einmal eine Million obendrauf. Bonuszahlungen gibt es auch für andere Kombinationen. Eine lukrative Geschichte also. Dass Fuchs das Zeug dazu hat, dort viel Geld zu verdienen, steht ausser Frage. Er und seine Pferde werden auch bereit sein – alles andere kann er nicht beeinflussen.
Ersterscheinung 8. April, mit freundlicher Genehmigung des «Zürcher Oberländer»