Dossier: 12/19

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Schimmel faszinieren auf verschiedensten Ebenen – hochinteressant sind sie bezüglich Vererbung, beeindruckend ist, wie sie in der Sagenwelt, in der Kunst  oder in der Literatur dargestellt werden. Mit Clooney von Martin Fuchs und Clouzot de Lassus von Bryan Balsiger springen sich momentan zwei Pferde nach vorn wie einst die legendären Schimmel Corso und Milton. 

Schimmel gibt es in den letzten Jahrzehnten immer häufiger, sowohl bei den Sportpferden als auch in der Vollblutzucht. An den WEG 2018 in Tryon waren im Einzelwettbewerb der besten 16 sieben Schimmel. An der EM Concours Complet in Luhmühlen beendeten 53 Paare die Prüfung, acht davon waren Schimmel, sechs gingen auf Capitol I zurück. Schimmel ist eigentlich keine Farbe, vielmehr eine Fehlfarbe, die bei den mit schwarzen, roten oder braunen Haare zur Welt gekommenen Fohlen langsam verblasst. Bezüglich Vererbung sind Schimmel ein faszinierendes Thema. Eher selten sind dominante Vererber oder Vererberinnen, wenn schon müssen sie von zwei Schimmel-Eltern abstammen. Diejenigen mit einem relativ häufigen Anteil an Schimmel-Fohlen sind oft auch Nachkommen von zwei Schimmeln. Absolut wichtig ist: Es wird nur dominant und nicht rezessiv vererbt. Wenn aus zwei Braunen oder zwei Füchsen ein Schimmelfohlen entsteht, kam ein anderer dazwischen.
Warum gab es in den früheren Reitpferdezuchten weniger Schimmel? Ein Hauptgrund dürfte wohl die Armee gewesen sein. Im Krieg sollten die Truppen getarnt sein und nicht auffällig durchsetzt von weissen Tupfern. Eine andere These, die sich auf das Militär bezieht, besagt, dass die armen Soldaten viel zu viel Arbeit gehabt hätten, den vom Mist gelblich gewordenen Farbstich aus dem Fell zu entfernen?…
Schweizer Schimmel-Siege
Der 2006 geborene und im Besitz von Luigi Baleri stehende Westfale Clooney brillierte dieses Jahr unter Martin Fuchs mit dem Einzelsieg an der EM Rotterdam und der Silbermedaille am WC-Final in Göteborg 2019 sowie dem Weltcup-Sieg in Lyon im November 2019. Zum Wunderpferd geworden ist er auch dank dem Backup der Familie Fuchs. Die Schimmelhengste aus seiner väterlichen Linie Cornet Obolensky (geb. 1999, BWP), Clinton (geb. 1993, HO) und Corrado I (geb. 1985, HO) waren allesamt hochkarätige Sieger und Vererber. Eine reinerbige Schimmelstute war zudem die Mutter von Corrado I: Soleil (geb. 1980, HO) war eine Tochter der Schimmel Capitol I (geb. 1975, HO) und der Kuerette (geb. 1973, HO, v. Maestoso xx, geb. 1962). Der Spitzen-Vererber Capitol I war auch Vater von Willi Melligers Corso (geb. 1979, HO)  und von Courage II, der im April 1995 für den ZVCH gekört und im Frühjahr 2002 nach Irland exportiert  wurde. Nachkommen aus dieser Zeit in Irland brillieren vor allem im Vielseitigkeitssport. Als neuer Star im Schweizer Springsport zeigt sich mit Bryan Balsiger Clouzot de Lassus nach dem Sieg im Weltcup von Oslo. Der 2008 geborene Wallach (SBS, v. Clinton-Ugano Sitte) ist ein Schimmel-Abkömmling der Soleil. Das Erbe dieser tollen Stute führen unter anderem ihr Sohn Clinton (geb. 1993, Vater des Cornet Obolensky) weiter.
Soleil war reinerbig, ihr Vater Capitol I nicht. Zu seinen Nicht-Schimmel-Nachkommen zählte Chameur  (geb. 1990), der mit grossem Erfolg bei Otto Bertschi in der Schweizer Zucht wirkte. Capitols Vater Capitano (geb. 1968) vererbte nur Schimmel und das, obschon er vom braunen Corporal  (geb. 1963) abstammte. Im 2009 erschienenen Buch «Das Holsteiner Pferd» wird das klargestellt. Auf dem Hof des Spitzenzüchters Harm Thormählen fand Junghengst Grand Vikar (geb. 1965), ein Schimmel,  den Weg zu Retina (geb. 1952) und das Resultat war dann eben dieser Capitano, 2:3 auf Ramzes ingezogen. Capitol I trägt das Ramzes-Blut zudem nochmals in dritter Generation, das ergibt 3:3:4. Retina siegte unter Fritz Thiedemann zweimal im Hamburger Spring-Derby. Ihre Tochter Ibylle (geb. 1972) vom Schimmel Moltke (geb. 1967) und reinerbig, brachte Laurin (geb. 1985), den mütterlichen Grossvater des Marius (geb. 1994), der mit dem Amateur Hinrich Romeike an den Olympischen Spielen 2008 Gold in der Vielseitigkeit errang. Zudem ist sie mütterliche Urgrossmutter der Schimmel Corland und Fibonacci (Meredith Michaels Beerbaum, Team Bronze, OS Rio 2016) und der BB Corlanda (geb. 1988), die unter Willi Melliger im internationalen Spitzensport dabei war.
Anglo-Araber und Shagya
Retinas Vater war Ramzes. Dieser 1937 in Polen gezogene Anglo-Araber hatte die Sportpferdezucht Europas geprägt. Der Reinerbige war von Rittersporn xx  (geb. 1917) und Schimmel über seinen väterlichen Grossvater Le Sancy (geb. 1884) aus der Jordi (geb. 1928). Jordi vereinte  Shagya-Blut aus Radautz in der Bukowina und von Amurath (geb. 1881) aus dem Vollblutarabergestüt Weil-Marbach in Deutschland in sich. Ramzes  gelangte 1948 in den Besitz von Clemens Freiherr von Nagel, startete unter Micky Brinkmann in Springprüfungen. Zwei seiner Nachkommen belegten an der allerersten Dressur-WM in Bern 1966  die Ränge eins und zwei: Mariano unter Josef Neckermann und Remus unter Harry Boldt, beide 1955 in Westfalen geboren. Romanus (geb. 1951 v. Ramzes) gewann mit Hans-Günther Winkler an den EM 1961 in Aachen und 1962 in London die Bronze- respektive die  Silbermedaille. Willi Melligers unvergesslicher Holsteiner Calvaro (geb. 1986) und Niklaus Schurtenbergers Cantus (geb. 1995)  waren beides Söhne des Cantus (geb. 1981), Schimmel über seine Mutter Monoline (geb. 1975, v. Roman-Ramzes). Ein Cantus-Sohn war auch Calido (geb. 1991), ein Aushängeschild der Station Hell und Vater des Cero  (geb. 2001) und 3:2 auf Cantus ingezogen.
Ein Anglo-Araber-Schimmel war auch Inschallah (geb. 1968) aus französischer Zucht und 5:4:3 auf Lotus (geb. 1928) ingezogen. Sein Vater Israël (geb. 1953) war Schimmel, seine Mutter Resena (geb. 1961) war Fuchs. Inschallah siegte 1972 an der Hengstleistungsprüfung Adelheidsdorf und erwies sich als vielseitiger Vererber für alle drei Disziplinen. Sein Sohn Inselfürst (geb. 1986) war reinerbig und stand während seiner gesamten Karriere auf der Station seines Züchters Hergen Schweers. An der HLP 2013 stellte er einen Rekord auf. Im Sport beeindruckte er in der Dressur bis auf Stufe S. Der sporterprobte Schimmel Mr. Blue (geb. 1988, KWPN) a.d. Acarla v. Oldenburg v. Inschallah, vererbt sich auch über den international gefragten Zirocco Blue  (geb. 2004, SF). Zudem ist er Vater von Toubleu de -Rueire. Der 2007 geborene SF-Wallach mit CH-Mutterlinie verhalf unter Tiziana Realini dem Schweizer CC-Team zur Olympia-Qualifikation.
Israëls Mutterlinie ist ein Beweis für menschliche Schwächen. Seine Mutter Lonlaine (geb. 1937, AA) war wohl als Schimmel eingetragen, diese Angabe fehlt aber bei den zwei Müttern, La Neuvaine xx (geb. 1927) und Sardonise (geb. 1906), und tritt erst wieder bei Sardoine (geb. 1894) v. Le Sancy (den Ahnen des Rittersporns) auf. Die Angabe «kann Schimmel werden» wurde weggelassen…
Schimmel auf der Rennbahn
Schimmel in der Vollblutzucht und somit auch im Einsatz als Veredler bei den Sportpferden gibt es mehrere und sie gehen auf den schon erwähnten Le Sancy zurück. Wo die Verschimmelung herkam, wusste Federico Tesio, die Ikone der Vollblutzucht. Er schreibt, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts häufig Schimmel auf Englands Rennbahnen zu sehen waren. Sie seien dann langsam ausgestorben, bis Le Sancy und seine Nachkommen auf die Bahnen traten. Da wurden Schimmel plötzlich wieder modisch! 1911 kam das Wunderpferd The Tetrarch in Irland zur Welt, ein Urenkel des Le Sancy, ungeschlagen als Zweijähriger und Spitzenvererber. Er wurde 24 Jahre alt und war ein «echter Schimmel». Während seiner Rennkarriere war er jedoch dunkel und gefleckt, weshalb er als «spotted wonder» bezeichnet wurde. Diese Schimmel-linie führt über viele Generationen hin zu Crab (geb. 1722), einem Sohn des Alcock Arabian (geb. 1712). Alle Vollblut-Schimmel gehen auf ihn zurück. Als ein aktuelles Beispiel ist die achtjährige Cougara  aus dem Gestüt Weiherwiesen zu erwähnen, in England geboren, aber in der Schweizer Vollblutzucht eingetragen.
Nicht vergessen werden darf der 1977 geborene Milton. Der von Caroline Bradley gezüchtete und als Englisches Sportpferd eingetragene Wallach stammte von Marius (geb. 1968) aus der Aston Answer, einer 1973 geborenen Irish-Draught-Stute. Sie war Schimmel über Any Questions (geb. 1963), einem Anglo-Araber, der erst in Irland und dann in Schweden wirkte. Die Verschimmelung geht auf seiner väterlichen Linie auf den 1945 geborenen Shagya-Basa zurück, der ebenfalls erfolgreich in der britischen Zucht eingesetzt wurde. 

Schimmelhengste aus Babolna im Gestüt Avenches

Der in Babolna gezogene Shagya, welcher von 1942 bis 1960 im Haras Fédéral in Avenches stand, war ein sehr qualitätvoller, reinerbiger Schimmel. Shagya I, wie er bei uns bezeichnet wurde, hatte viel Gang, Eleganz und Rasse. Norbert Véya, ehemaliger Stallmeister, beurteilte ihn: «Man hätte ihn von Anbeginn an stärker nutzen müssen, dann hätte man seine Qualitäten früher entdeckt. Vor allem war er gut für die Freibergerzucht.» Über seine Tochter Shirley (geb. 1948) ist er Urahne der Haiglight  (geb. 2012), der Miss OFFA 2019, welche Albert und Manuela Kuster im Thurgau gehört. Haiglight ist Mutter von Nero bianco, der an der Nationalen Elitefohlenauktion für Freiberger in Avenches den Spitzenpreis von 2500 Franken erzielte. Auch der ebenfalls in Babolna gezogene  Shagya-Hengst Jussuf (geb. 1955) hat Spuren in der Schweiz hinterlassen in der St-Garin-Zucht von Roland Bovet in Autigny. Um Schimmel-Freiberger kümmert sich ebenfalls die Thurgauer Familie Schmid. Die Schimmelstute Anita (geb. 1980, v. Entlebuch) hatte sie von Jean-François Frésard aus Emibois-Muriaux gekauft. Bestens in Szene zu setzen wussten sich die Freibergerschimmel in den Shows von Bruno Isliker.

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