Wo immer früher über die «feste Nahrung» von Pferden berichtet wurde – allein auf den Nährwert des Futters hatte sich alles konzentriert. Das ist heute ganz anders: Die Nahrungsaufnahme hat die Bedürfnisse von Leib und Seele zu befriedigen.
Im zweibändigen Klassiker «Das Buch vom Pferde» von Graf Wrangel wie in der handlichen «Anleitung zur Kenntnis und rationellen Pflege des Pferdes» der Schweizer Armee zeigt es sich ganz deutlich – der Fütterung des Pferdes wurde schon immer höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Wrangel widmete gleich die ersten 50 Seiten der Fütterungslehre, kein anderes Thema ist bei der Armee-Anleitung so ausführlich beschrieben wie das Futter, wo von Körnerfutter über Halmfutter, Stroh, Laub, Wurzeln und Knollen bis zu künstlichen Futtermitteln und Futterzellulose oder Mash alles beschrieben wird, was der Diensttauglichkeit der Pferde förderlich zu sein schien. Keine Erwähnung fanden in diesen Büchern jedoch weitere Aspekte der Pferdefütterung wie etwa, dass das Nahrungsaufnahmeverhalten alle Verhaltensweisen des Pferdes beinhaltet.
Auf Arbeit ausgerichtet
Die körperliche Leistungsfähigkeit der Pferde stand bei der Schweizer Armee im Vordergrund. Nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft gerade bei den Futterquantitäten sogar zu sehr. Selbst im Kasernenbetrieb, wo die Pferde selten grössere Leistungen zu erbringen hatten, wurden sie mit 3,5 kg Hafer, 6 kg Heu und 2,5 kg Stroh versorgt. Und wenn es in den Felddienst ging, wurde die Haferration gleich noch um 1 kg erhöht. Mit solchen Rationen können sich Pferdeernährungsfachleute heute nicht mehr anfreunden. Für sie gilt: Für das Wohlbefinden der Pferde ist unter ernährungsphysiologischen und ethologischen Aspekten ausreichend strukturwirksames Futter unerlässlich. Und doch bestätigt die Ausnahme auch hier die Regel, wie ein Beispiel zeigt: Heu kann ein 28-jähriger Lusitanohengst kaum mehr fressen, angekaut liegt es in Rollen in der Box und im Auslauf herum, in den Magen gelangt kaum mehr Raufutter. Fit und bei Kräften hält er sich mit einem leicht zu kauenden Seniorenfutter. Für die Ernährung wird bei ihm Heu unwesentlich, das entwicklungsgeschichtlich bedingte und sich über Stunden hinziehende Nahrungsaufnahmeverhalten wird aber abgedeckt.
Welche Bedeutung die Pferdefütterung in den letzten Jahren eingenommen hat, zeigt sich vor allem an den Pferdemessen. An bescheiden ausgestatteten Ständen wurden vor 20, 30 Jahren einige wenige Kraft- und Zusatzfutter angeboten, heute dagegen lässt sich wie in Apotheken ein für jedes Bedürfnis abgestimmtes Produkt finden. Wer hätte sich vor wenigen Jahren vorstellen können, dass ein Aussteller an einer Pferdemesse exklusiv Bio-Heu anbietet? Wenn der Markt die Bedürfnisse aufzuzeigen vermag, ist es naheliegend, dass sich auch die Wissenschaft dem Thema annimmt. So ist es mittlerweile kein Geheimnis mehr, welche Folgen ein Selenmangel hat oder welche Substanzen das Hufwachstum beeinflussen können. Weil eine Überdosierung aber auch schädliche Auswirkungen haben kann, ist ein Vorgehen «Nützt es nichts, so schadet es nichts» die falsche Entscheidung. Gerade weil beim Heu die Qualitätsunterschiede enorm gross sind, kommt man nur über Heuanalysen zu einer bedarfsgerechten Fütterung.
Unwichtig ist er zwar noch immer nicht, der Nährwert des Pferdefutters nimmt aber längst nicht mehr die dominante Stellung von einst ein. Obwohl gerade die zunehmend grosse Anzahl übergewichtiger Pferde ein deutlicher Fingerzeig sind. Eine schottische Studie mit gut 300 Reitpferden kam auf 45 Prozent adipöser Pferde, in Grossbritannien zeigte eine Untersuchung gut ein Drittel von 800 Freizeitpferden als pummelig auf und in den USA brachte mehr als die Hälfte der Probanden zu viele Kilo auf die Waage. Einen wesentlichen Grund für diese Entwicklung sehen Tierärzte vor allem – ähnlich wie bei uns Menschen auch – in einem zu reichen Futterangebot bei zu wenig Bewegung. Nachteilig wirkt sich für die Pferde aus, dass sie über keine Dehnungsrezeptoren verfügen, die bei übermässiger Füllung des Magens die Futteraufnahme stoppen würden.
Artspezifisch fixiertes Bedürfnis
Der Weg des Futters durch den Pferdeleib hindurch ist mittlerweile eben nur noch ein – wenn auch wichtig gebliebener – Aspekt in der ganzen Fütterung. Wie die angeborenen Verhaltensweisen beim Fressverhalten berücksichtig werden können, ist in letzter Zeit ebenso wichtig geworden. Ein Beispiel dafür ist der grosse Markt an Slow-Feeding-Systemen, mit denen man die von der Natur vorgegebenen Fresszeiten von 10 bis 18 Stunden pro Tag zu erreichen hofft bei trotzdem nicht überquellender Futtermenge. Auf der Suche nach einer bestmöglichen Lösung, das Futterangebot für die leichfuttrigen Pferde und Ponys zu vermindern, werden auch Grenzen überschritten und tierschutzrelevante Geräte angepriesen. Einfacher zu lösen ist die Verabreichung von Kraftfutter über zeitgesteuerte Futterautomaten, schwieriger ist es mit Einrichtungen für Raufutter. Nicht zuletzt auch deshalb, weil in natürlicher Haltung das Pferd beim Fressen den Kopf vorwiegend gesenkt hat.
Dem artspezifisch fixierten Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme nachkommen zu können, ist für die Pferdehaltenden freilich alles andere als einfach zu lösen. Für ein Reitpferd mit einer Tagesration von 6 kg Raufutter und 3 kg Krippenfutter beispielsweise ist Margit Zeitler-Feicht in ihrem Buch «Handbuch Pferdeverhalten» auf eine Gesamtverzehrdauer von nur gerade einmal 250 Minuten, also gut vier Stunden, gekommen. Für die Equiden allerdings sollten es aber mindestens zwölf Stunden sein.
Notwendige Details
«Es wäre nun aber ganz irrig, richtige Wartung und Pflege des Pferdematerials als etwas besonders Schwieriges aufzufassen. Im Gegenteil, es ist etwas ganz Einfaches. Wichtig ist nur die Einsicht, dass alle die vielen, an und für sich fast bedeutungslos erscheinenden Details unerlässlich notwendig sind, und dass von der Gewissenhaftigkeit ihrer Ausführung die Vorzüglichkeit des Pferdewesens abhängig ist.» (Anleitung zur Kenntnis und rationellen Pflege des Pferdes, Schweizerische Armee 1965)
Vom Maul bis zum Bollenhaufen
1.: Die natürliche Fresshaltung
Werden Pferde in der Natur beobachtet, wird schnell klar, wie die natürliche Fresshaltung des Pferdes aussieht. Mit gesenktem Kopf in Richtung Boden wird die Nahrung grundsätzlich aufgenommen. Durch Tröge und weit oben angebrachte Heunetze wird so häufig dem physiologischen Grundsatz widersprochen.
2.: Ohne Speichel geht nichts
Der Kauvorgang an sich soll bei Pferden einige Zeit in Anspruch nehmen. Essenziell besonders deswegen, da hierdurch die Speichelproduktion, die wiederum für die pH-Pufferung und die Verarbeitung im Magen verantwortlich ist, richtig in Gang kommt. Dadurch ist auch die wichtige Rolle des Raufutters zu verstehen. Denn mit dem Fressen von Heu oder Gras sind Pferde lange beschäftigt, Kraftfutter kann verschlungen werden.
3.: Über die Speiseröhre in den Magen
Bis auf eine Größe von ein bis zwei Millimetern zerkleinern Pferde die Nahrung, bevor der durch den Speichel entstandene Brei über die Speiseröhre in den kleinen Magen gleitet. Die Füllmenge des Magens eines durchschnittlichen Warmblutpferdes beträgt gerade mal zehn Liter. Als Fluchttiere würde ein voller, schwerer Magen der Flucht vor Raubtieren im Weg stehen.
4.: Ein Dickdarm-Verdauer
Im Gegensatz zum Menschen sind Pferde Dickdarm-Verdauer. Über den 16 bis 24 Meter langen Dünndarm führt der Weg der Nahrung deswegen weiter in den acht bis neun Meter langen Dickdarm. Die übrig gebliebene Nahrungsmasse wird dort von den unverdaulichen Bestandteilen getrennt.
Hinweise erkennen
Was am Ende als Kot abgesetzt wird, sind die unverdaulichen Reststoffe des Futters. Im Normalfall sollte er die Form kleiner Äpfel haben, daher auch der Name Pferdeäpfel. Ist der Kot jedoch breiig und riecht sehr unangenehm, dann ist dies als Warnzeichen zu verstehen. Extrem trockene und harte Pferdeäpfel wiederum können auf eine drohende Verstopfung hinweisen.
Warum ein Pferd nicht erbrechen kann
Pferde können ihren Magen entgegen der Schluckrichtung nicht entleeren. Das liegt zum einen daran, dass die Speiseröhre eines Pferdes nicht rechtwinklig, sondern spitzwinklig in den Magen mündet – das erschwert den Weg zurück. Zudem ist der Eingang des Magens durch einen ringförmigen Muskel geprägt. Dieser lässt das Futter zwar hinein, aber nicht rückwärts wieder aus dem Magen hinaus.