Nicht Vorschriften haben vor 40 Jahren in erster Linie zu Verbesserungen in der Haltung geführt, der Wunsch der Pferdebesitzer/-innen nach besseren Formen eilte der Gesetzgebung voraus. Ihren unveränderten Grundbedürfnissen sollten Pferde auch im Stall nachkommen können.
Seit seiner Domestikation vor gut 5000 Jahren hat das Pferd im Laufe der Geschichte sehr unterschiedliche Rollen eingenommen. Unverändert blieben jedoch seine Grundbedürfnisse. So ist es denn nicht nur logisch, sondern auch sehr wünschenswert, dass sich mit der Nutzung auch die Haltungsformen des Pferdes stetig entwickelt und angepasst haben. Ein nationales Tierschutzgesetz wurde in der Schweiz erstmals im Jahre 1978 verabschiedet, die zugehörige Tierschutzverordnung erschien 1981, wobei das Pferd nicht einmal Aufnahme darin fand. Treibende Kraft für Verbesserungen in der Pferdehaltung waren die Halter und Besitzer. Das Tierschutzgesetz legte nur absolute Mindestanforderungen fest.
Bedürfnisse sind gegeben
1979 wurde das Thema Offenstall im Band IV des deutschen Standardwerks «Richtlinien für Reiten und Fahren» angesprochen. An den Kapiteln zur Pferdehaltung arbeiteten verschiedene Autoren, unter anderem auch der bekannte Veterinärmediziner und Verhaltensforscher Prof. Dr. med. vet. Klaus Zeeb, dessen Arbeiten an den Dülmener Wildpferden den ersten umfassenden Verhaltenskatalog des Pferdes hervorbrachten. Er erwähnte ein Grundprinzip der Haltungsdiskussion: Die Lebensbedürfnisse einer Tierart sind durch seine Entwicklungsgeschichte vorgegeben. Das heutige Pferd hat noch dieselben Ansprüche wie die Vorvorfahren vor seiner Domestikation. In diesem Sinne wird die Weidehaltung von den Autoren als am ehesten verhaltensgerecht hervorgehoben und besonders für Mutterstuten mit Fohlen wie auch für Ein- bis Zweijährige als notwendig angesehen. Der Offenstall sei ideal für Pferde, welche unregelmässig bewegt würden. Für Tiere im Leistungssport wurde er noch als ungeeignet angesehen.
Das steigende Interesse an artgerechter Pferdehaltung bestätigte sich 1980 im Schweizer Kavallerist, wie der KAVALLO damals hiess. In der Serie «Lerne dein Pferd verstehen» wurden die Grundbedürfnisse des Pferdes und deren Implikationen für eine artgerechte Haltung besprochen. Verfasst wurden die Artikel von Prof. Dr. Klaus Zeeb und zwei weiteren Hauptakteuren in der Entwicklung von Gruppenhaltungssystemen: Prof. Dr. med. vet. Ewald Isenbügel und dem Verhaltensbiologen Andreas Kurtz, der sein erstes Konzept für einen Gruppenlaufstall bereits 1977 verfasst hatte.
Pferde verstehen lernen
Die Serie «Lerne dein Pferd verstehen» hatte zum Ziel, das natürliche Verhalten des Pferdes zu beschreiben und anhand der daraus abgeleiteten Grundbedürfnisse Rückschlüsse über eine gesunde und artgerechte Haltung zu ziehen. So werden mehrere zentrale Vorteile des Gruppenauslaufs herausgearbeitet. Besonderes Gewicht legten die Autoren jedoch auf das Sozialverhalten und dessen zentrale Rolle in einer gesunden Haltung. Da Ausruh- und Komfort- bis hin zum Fortbewegungsverhalten soziale Aspekte haben, kann ein Pferd diese Bereiche nur in der Gruppe artgemäss ausleben. Bereits damals wurde ausserdem davor gewarnt, dass Einschränkungen der sozialen Bedürfnisse Verhaltensstörungen wie Aggression oder Stereotypien nach sich ziehen können.
Wie ein Haltungssystem beurteilt wird, hängt stark davon ab, wie verschiedene Faktoren gegeneinander gewichtet werden. Von den Autoren wurde das Sozialverhalten als eines der wichtigsten Grundbedürfnisse des Pferdes akzeptiert, womit der Gruppenauslauf als artgerechteste Variante aufgeführt wurde. Die 1984 vom Schweizer Tierschutz STS veröffentlichten Tierschutzvorschriften über die Haltung, die Pflege und die Verwendung von Pferden hinkten in dieser Hinsicht sogar einen Schritt hinterher – die Einzelhaltung wurde nicht ausgeschlossen. Stattdessen wurde empfohlen, einzeln gehaltene Pferde vermehrt zu beschäftigen, um den fehlenden Sozialkontakt zu kompensieren.
Die Forschung zieht mit
Während die Pferdewelt hauptsächlich basierend auf Erfahrungswerten über die Haltung diskutierte, begann auch die Forschung, sich vermehrt mit dem Thema zu befassen. So wurde zum Beispiel in der 1990 veröffentlichten Ausgabe von «Aktuelle Arbeiten zur artgemässen Tierhaltung» der Deutschen Veterinärmedizinischen Vereinigung untersucht, welchen Einfluss die Haltungsbedingungen während des Aufwachsens auf die Entwicklung haben. Die gesammelten Arbeiten zeigten, dass eine reizreiche Umgebung während des Aufwachsens die Hirnentwicklung fördert. Unpassende Reizsituationen (zu viele oder zu wenige Reize, soziale Unter- oder Überforderung sowie räumliche Einengung) können hingegen zu irreversiblen Verhaltensstörungen führen. Bei der Aufzucht von Gruppentieren ist die soziale Stabilität ein zentraler Faktor des späteren Verhaltens und Wohlergehens. Die Forschung zeigt also, was viele Pferdehalter bereits wissen: Eine gute Aufzucht ist ein Grundbaustein für späteren Erfolg. Hervorzuheben ist, dass ein möglichst stressfreies Umfeld keinesfalls das Ziel der Pferdehaltung darstellt, sondern vielmehr ein gesundes Mittel gefunden werden muss, und dass das Sozialverhalten in der Entwicklung einen der wichtigsten Plätze einnimmt.
Herkömmliche Haltungsarten wurden derweil mit einem kritischeren Auge betrachtet. In den 1992 veröffentlichten Mindestanforderungen für die Sport- und Freizeitpferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten von Margit Zeitler-Feicht und A. Grauvogl wurde die Einzelhaltung von Pferden komplett abgelehnt. Auch die Ständerhaltung wurde mindestens für Jungtiere, abfohlende Stuten und hoch im Blut stehende Pferde als tierschutzwidrig bezeichnet.
Physiologische Auswirkungen
Neben dem Verhalten wurde auch die körperliche Gesundheit des Pferdes immer ausführlicher besprochen. So steht in den 1995 in Deutschland veröffentlichten «Leitlinien zur Beurteilung der Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten», dass die Häufigkeit von Erkrankungen und Dauerschäden zeigt, wie viele Haltungs- und Nutzungsformen noch nicht artgerecht sind. Ein Jahr später schrieben Klaus Zeeb und Ursula Pollmann in «Verhaltensgerechte Pferdehaltung – Gruppenauslaufhaltung», dass Einzelhaltung sowohl den Bewegungs-, Atmungs- und Verdauungsapparat wie auch den Stoffwechsel -negativ beeinflussen. Wie gross die Einschränkung des Fortbewegungsverhaltens ist, zeigte sich im 1997 im KAVALLO erschienenen Artikel von Andreas Kurtz. Unter natürlichen Bedingungen sind Pferde zehn bis 16 Stunden täglich in Bewegung, hauptsächlich bei der Nahrungsaufnahme.
Obwohl die positiven Auswirkungen der Gruppenhaltung auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit bekannt wurden, blieb sie für viele etwas «Robustes». Mit diesem Vorurteil wurde 1997 aufgeräumt in der STS-Broschüre «Pferde – Ein Leitfaden für die tiergerechte Haltung». Wenn genügend Platz, Witterungsschutz, geeignete Bodenbeschaffenheit und Futter zur Verfügung stehen, wird der Stall nicht aufgesucht. Gezeigt wurde dies bei Sportpferden. Ende der 90er-Jahre stand somit fest, dass der Gruppenauslauf eine pferdegerechte Haltungsmöglichkeit darstellt, das Risiko von Krankheiten und Verhaltensstörungen verringert und die Leistungsfähigkeit fördert. Eine gesündere Variante der Pferdehaltung begann sich zu etablieren.
Im nächsten Beitrag werden wir uns mit der Umsetzung der Vorschriften befassen.