Der Hörsinn ist für Pferde eine wichtige Orientierungshilfe in ihrer Umgebung. Doch oft wird den empfindsamen Ohren der Tiere durch die Menschen eine grosse Geräuschkulisse zugemutet. Wie Pferde tatsächlich Lärm empfinden, ist bisher erst wenig erforscht.
Die Ohren eines Pferdes stehen fast nie still – ausser es erlebt gerade eine Schrecksekunde. Nicht umsonst spricht man vom «Ohrenspiel». Denn das Pferd kann seine Ohren dank je 16 Muskeln unabhängig voneinander um fast 180 Grad drehen. Dabei richtet es sie jeweils nach der Geräuschquelle aus, die gerade seine Aufmerksamkeit erweckt.
Gleichzeitig verrät die Stellung der Ohren auch einiges über den momentanen Gemütszustand. Hat ein Pferd seine Ohren nach vorne gerichtet «gespitzt», signalisiert es uns damit, dass es munter und ausgeglichen ist. Lässt es hingegen die Ohren wortwörtlich hängen, ist es entweder müde, mental abgelöscht oder gar krank. Flach nach hinten angelegte Ohren sind ein Zeichen für Aggression.
Die relativ grossen Ohren weisen schon auf ein ausgeprägtes Hörvermögen hin. Tatsächlich hören Pferde wesentlich besser als Menschen und nehmen auch noch Töne im Ultraschallbereich – je nach Quelle von 25000 bis über 33000 Hertz – wahr. Selbst ganz leise Geräusche hören Pferde noch im Unterschied zu den Menschen. Dieser ausgeprägte Hörsinn ist für ein Fluchttier und einen ehemaligen Steppenbewohner überlebenswichtig.
Empfindlich auf Lärm
Klar ist aber auch: Ein Tier, das so gut hört, reagiert deshalb um so lärmempfindlicher. Wohl nicht umsonst existiert der geflügelte Ausspruch «Ruhe im Stall!». Zumindest früher hingen in vielen Ställen Schilder mit dem entsprechenden Hinweis, leise zu sein. Heute dagegen plärrt es oft aufdringlich laut für die Pferde aus dem Radio, kaum sind die Besitzer oder das Personal anwesend. Australische Forschende haben in einer 2008 publizierten Untersuchung mit 402 Vollblütern festgestellt, dass andauernde Beschallung aus dem Radio im Stall vermehrt zu Magengeschwüren führte. Bei Musik erhöhte sich dieses Risiko um den Faktor 2,8, bei Sprachbeiträgen sogar um den Faktor 3,6.
Musik zur Beruhigung
Selbst unter Fachleuten ist umstritten, inwieweit der Musikstil ebenfalls eine Rolle spielt. Eine Studie aus dem Jahre 2015 von polnischen Forschenden mit 70 Vollblutarabern kommt zum Schluss, dass sich Musik auch positiv auf das Wohlbefinden der Pferde auswirken kann. Den vierzig Pferden der Untersuchungsgruppe wurde dabei jeweils während fünf Stunden am Nachmittag eine speziell für Tiere komponierte Entspannungsmusik im Frequenzbereich zwischen 200 und 12000 Hertz im Stall vorgespielt. Als Kontrollgruppe dienten die dreissig übrigen Rennpferde.
Bereits einen Monat nach Studienbeginn zeigten die Pferde, die jeweils der Musik ausgesetzt waren, erste positive Reaktionen. Sie wirkten entspannter und wiesen bei Messungen unter unterschiedlichen Messbedingungen eine vorübergehend niedrigere Herzschlagfrequenz auf. Letzterer Effekt liess zwar nach drei Monaten wieder nach. Doch stellten die Forschenden fest, dass die von Musik beschallten Pferde insgesamt die besseren Rennleistungen verzeichneten gegenüber der Kontrollgruppe.
Traditionsgemäss werden die Vorführungen der Spanischen Hofreitschule von klassischer Musik begleitet, die auf die jeweilige Gangart der Pferde abgestimmt ist. Die Musik neutralisiere störende Nebengeräusche und sei den Pferden vertraut, teilte die Medienverantwortliche der altehrwürdigen Wiener Institution, Andrea Kerssenbrock, auf Anfrage mit.
Offenbar setzte man bereits in der Antike auf die betörende Wirkung der Musik. Jedenfalls beschreibt Plutarch in seinem epischen Schriftwerk «Moralia», dass während des Deckaktes bevorzugt das Lied mit dem Titel «Der Hengstsprung» mit Flöten und Dudelsäcken aufgespielt wurde, um den Hengst dadurch zusätzlich in Stimmung zu versetzen.
Hörsinn noch wenig erforscht
Was sich für Pferde tatsächlich als angenehm anhört und was sie als störenden Lärm empfinden, ist schwierig zu beurteilen. Es existieren bisher nur wenige wissenschaftliche Arbeiten zum Hörorgan des Pferdes. Denn präzise Messungen sind nur am lebenden Probanden möglich. Doch die meisten Pferde mögen es gar nicht, wenn ihnen Fremde an den empfindlichen Ohren herumzumanipulieren versuchen. Es gilt schon als grosser Vertrauensbeweis, wenn es ein Pferd zulässt, dass ihm seine Bezugsperson die Ohren sanft mit der Hand ausstreicht.
Um so bemerkenswerter sind die Forschungsergebnisse, die an der Medizinischen Tierklinik der Universität Leipzig unter der Leitung von Professor Gerald Fritz Schusser erzielt worden sind. Für die Studie wurden 38 Pferde zuvor sediert und anschlies-send einer Ohrenspiegelung unterzogen. Dabei wird ein Endoskop, an dessen Ende sich eine Minikamera mit einer Lichtquelle befindet, vorsichtig in die Ohrmuschel eingeführt. So kann der äussere Gehörkanal und das Trommelfell über einen Bildschirm betrachtet werden.
Im obersten Bereich ist der Gehörkanal durch Haare sowie Talg- und Schweissdrüsen geschützt. Doch dann folgt abrupt ein unpigmentiertes, haarloses, drüsenfreies Deckgewebe, das verhornt ist. Dieser Übergang ist durch kranzartig angeordnete, beigefarbene Keratinschuppen erkennbar, die durch den Selbstreinigungsmechanismus des anschliessenden knöchernen Gehörgangs entstehen. Das Trommelfell am Ende ist als halbdurchsichtige Membrane zu sehen.
Zusätzlich wurde noch an zehn Schlachtpferden das Ohrgewebe detailliert untersucht. Nach Angaben der Studienverfasser konnte so erstmals das Pferdeohr wissenschaftlich umfassend beschrieben werden. Bei der Untersuchung konnte ausserdem bei sieben Pferden ein krankhafter Befund der Ohren festgestellt werden. Eine Erkenntnis, die Professor Schusser aus den Resultaten zieht: Pferde werden schreckhafter, wenn der äussere Gehörkanal verstopft ist, weil sie dadurch schlechter hören. Auch Kopfscheue trete auf, wenn eine Ohrkanalentzündung Schmerzen verursache.
Im Rahmen einer anderen Studie wurden bei 23 Pferden mit einem Computertomographen der äussere Gehörgang und das Trommelfell ausgemessen. Diese Ergebnisse können als Referenzwerte dienen und bei der Diagnose von Hörstörungen und Krankheiten helfen. Letztlich ist eines der Ziele dieser Forschungen, dereinst auch die Lärmempfindlichkeit von Pferden messen zu können.
Doch soviel steht jetzt schon fest: Wenn bereits Menschen die Geräuschkulisse an Pferdeveranstaltungen als unangenehm laut empfinden, wie sehr müssen wohl dabei die Pferde mit ihrem empfindlichen Gehör darunter leiden? Es wäre zumindest wünschenswert, wenn sich die Veranstalter dessen etwas bewusster würden.