Dossier: 7/15

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Steht bei Haltungsfragen immer mehr der Schutz der Pferde im Vorder­grund und wird zu wenig daran gedacht, was diese für ihr Wohlbefinden benötigen? 
Um vermehrt über die angeborenen Wünsche der Pferde zu erfahren, wird nun an einem Bewertungskatalog gearbeitet.
Die Frage des Tierwohls macht nicht mehr bei Schweine- und Hühnerställen halt. Die Pferdehaltung steht ebenso im Fokus. Welche Haltungsform ist tiergerecht, welche nicht? Ein Punkt, an dem die Meinungen auseinander gehen und mit dem sich bei den alle zwei Jahre stattfindenden Göttinger Pferdetagen Wissenschaftler und Praktiker austauschen. Dabei stellen Forscher oftmals erst Ansätze, Ideen, Studien und Projekte vor, praxisreife Lösungen darf man noch nicht erwarten. 
Das hat Gründe: Pferde stellen heutzutage einen nicht unerheblichen Wertfaktor dar. Der kulturelle Aufstieg vom einfachen Arbeiter beim Militär, im Transportwesen und in der Landwirtschaft zum besten Freund, Werbeträger, Anlageobjekt und Hochleistungssportler, so Andreas Franzky vom Landesamt für Verbraucherschutz im norddeutschen Lüneburg, habe völlig neue Anforderungen auch an Zucht, Umgang, Nutzung und letztendlich auch Haltung von Pferden gestellt. «Objektiv hat man den Eindruck, die Pferdehaltung hat sich zu einer Art ‹Schutzhaltung› weiterentwickelt, bei der man das Pferd praktisch vor allem Möglichen schützen will», merkt der Experte an. «Dabei wird oft instinktiv völlig verdrängt oder bewusst nicht berücksichtigt, was ‹Pferd› eigentlich braucht, was es will und wann es sich wohlfühlt.» Und das sind nicht automatisch neue teure Reitsportanlagen mit Pferdesolarium und handgeschmiedeten Boxenabtrennungen oder Offenställe mit digital gesteuerter Fütterungstechnik. Genauso wenig wie Pferde, die ganz und gar sich selbst überlassen werden und damit im schlechtesten Sinne medienwirksame Bilder von verwahrlosten Pferden erzeugen, deren Halter oder Besitzer mit der Situation völlig überfordert sind. 
Bewertungsskala für Beurteilung
Da man Pferde nicht fragen kann, wie sie sich wo wohlfühlen, brauchen Praktiker ein Bewertungssystem für Pferdehaltungssysteme, um den Wirrwarr «Was ist gut, was ist schlecht für mein Pferd?» zu entknoten. Die bekannte Pferdeethologin Margit Zeitler-Feicht von der Technischen Universität München-Weihenstephan entwickelt derzeit mit ihrer Arbeitsgruppe eine Bewertungsskala, die genau das in Zukunft beantworten können soll: ein einheitliches Mass zur Beurteilung der Tiergerechtigkeit von Pferdehaltungen. Das neue Bewertungssystem wird sowohl auf die Gruppen- als auch auf die Einzelhaltung von Sport- und Freizeitpferden anwendbar sein. Mit Hilfe von Indikatoren versucht die Arbeitsgruppe, auf Empfindungen der Pferde zu schlies­sen. «Denn das Tier ist Spiegel seiner Haltung», erklärt sie plakativ. Ein Pferd, das sich wohlfühlt, kann sein angeborenes Verhalten zeigen und ist gleichzeitig gesund.
Beide Punkte, also Verhalten und Gesundheit, sollen im neuen Bewertungssystem Berücksichtigung finden. Der Bewertungskatalog untersucht als erste Grundanforderung die Möglichkeit zur Ausübung des arteigenen Verhaltensrepertoires. Es wird erfasst, wie weit die Haltungsbedingungen den Pferden die Möglichkeit geben, arttypisches Verhalten auszuleben. Erhoben wird zudem, wie häufig das 
Pferd ausgewählte Verhaltensweisen zeigt. Verhaltensauffälligkeiten werden ebenfalls notiert. Dies alles in den Funktionskreisen Bewegung, Ruhe, Ausscheiden, Sozialkontakt, Futteraufnahme, Erkunden und Tier-Mensch-Beziehung. In den Bewertungskatalog Gesundheit gehören Kriterien wie ­Ernährungszustand, Verletzungen, Krankheit, Stallluft, Schmerzen und Gesundheitsprophylaxe. 
Pferdebezogene Indikatoren
Um möglichst nah am Tier zu sein, versuchen die Wissenschaftler mit tierbezogenen Indikatoren zu arbeiten, wie zum Beispiel einem Body ­Condition Score. In der Praxis: Ein übergewichtiges Pferd ist ebenso wenig tiergerecht gefüttert wie ein unterernährtes Tier. In einer Notenskala wäre also die goldene Mitte wünschenswert. Beim Verhalten «Wälzen» wird es schon schwieriger. Wälzen ist ein Normalverhalten von Pferden. Jedoch wälzen sie sich bei Ektoparasitenbefall vermehrt. Eine höhere Note beim Indikator «Wälzen» würde aber diese Pferdehaltung falsch bewerten, da die Pferde in diesem Fall keinen guten Gesundheitsstatus aufweisen. Ähnlich verhält es sich mit dem Indikator «Lahmheit». Auch hier kann nicht eindeutig auf die Haltung geschlossen werden. In solchen Fällen benötigte man zu tierbezogenen Indikatoren auch noch ressourcenbezogene Indikatoren, wie die Häufigkeit der Parasitenbehandlung oder die Überprüfung der Tiergesundheit, um eine eindeutige Beurteilung zur Tiergerechtigkeit einer Pferdehaltung treffen zu können. Managementsysteme können hierbei weiterhelfen und Klarheit schaffen. «Die Kombination aus tierbezogenen und ressourcenbezogen Indikatoren ist uns wichtig», so die Ethologin.
Entscheidend für die Durchführbarkeit eines solchen Bewertungssystems ist es, dass alle verwendeten Indikatoren gut in der Praxis zu erheben und vor allem auch eindeutig zuzuordnen sind. Über 100 verschiedene Indikatoren werden derzeit unter diesem Gesichtspunkt getestet. Das neue Bewertungssystem soll als flächendeckend anerkanntes Prüfsiegel Verwendung finden und Organisationen als Basis dienen. Je nach Ausrichtung sollen dann weitere oder «schärfere» Werte für einzelne Indikatoren aufgesattelt werden können. 
Mit Hilfe des neuen Bewertungssystems kann man aber nicht nur den Ist-Zustand eines Betriebes beurteilen, sondern auch Möglichkeiten aufzeigen, welche Wege es gibt, mit einfachen Mitteln den Lebensraum des Pferdes so zu verändern, zu gestalten oder zu managen, dass es sich darin wohlfühlt.
Wie schlau sind Pferde?
Die Bewertung eines Haltungs­systems beruht im Wesentlichen auf den Erkenntnissen der Ethologie. Mit Grundlagenforschung auf diesem Sektor beschäftigt sich seit Jahren engagiert Professorin Konstanze Krüger von der Fachhochschule in Nürtingen. Unter dem Vortragstitel «Wie schlau sind Pferde? Soziales Lernen und innovative Anpassungen der Pferde» stellte sie interessante Versuchsergebnisse aus ihrer Arbeitsgruppe vor. So können Pferde, die in stabilen sozialen Gruppen leben, von Herdenmitgliedern lernen. Eine Oldenburger-Stute führte den Artgenossen vor, wie sie einen Knoten mit dem Maul anhob und sich daraufhin eine Schublade mit Kraftfutter öffnete. Die Manipu­lation der Futterapparatur ahmten sogleich andere Gruppenmitglieder nach. Viele, aber nicht alle. Soziales Lernen hängt auch vom Alter ab, konnte die Wissenschaftlerin erfahren. Ältere Tiere haben es schwerer als jüngere, etwas Neues dazuzulernen. Das dokumentierte zum Beispiel ein älterer Gruppenkollege, der es über 60-mal vergebens versuchte, die Schublade zu öffnen. Mit 15 Jahren gehörte er zu den älteren Semestern. 
Ranghohen wird abgeschaut
Soziales Lernen hängt aber auch davon ab, in welcher Dominanzposition der «Vorführer» zum Beobachter steht. Kollegen beobachten ein ranghohes und älteres Tier genauer als ein rangniedriges, jüngeres Pferd und vor allem ahmen sie einen anerkannten Gruppenführer auch eher nach.
In einem weiteren Video zeigte Professorin Krüger, wie soziales und innovatives Lernen gleichermassen möglich ist: Sie konnte dokumentieren, dass Pferde ebenso wie auch Schimpansen Hilfswerkzeuge gezielt einsetzen können. Zu sehen war, wie ein Pferd eine Eisenstange gezielt mit dem Maul anhebt, um damit unter der Heuraufe Heureste herauszukehren. Ein Maultier, das mit dem Pferd im gleichen Paddock stand, schaute sich dieses Verhalten ab und ahmte es schnell nach. Eine Extraportion war beiden sicher.
«Die meisten sozialen Innovationen konnten wir aber in Bezug auf die Freiheitserlangung festhalten», wertet Krüger ihre Studien aus. Pferde werden erfinderisch, wenn es darum geht, Riegel, Drähte oder Tore zu öffnen, um dann in Freiheit herumzulaufen. Interessanterweise waren es besonders Pferde in Einzelhaltung, die in diesem Punkt kreativ waren. 
Fahrgeräusche sorgen für kurzfristigen Stress
Für Sportpferdebesitzer besonders interessant war eine Studie aus Göttingen. Hier wurde untersucht, ob Fahrgeräusche beim Transport bei Pferden Stress auslösen. Bei fünf Pferden ­wurde während des Transports von Deutschland nach Spanien und zurück zur Europameisterschaft die Herzfrequenz als Indikator für Stress gemessen. Wie stark und lange die Pferde auf Transportereignisse reagierten, war sehr tierindividuell. Während Brems- und Beschleunigungsphasen und in kurvigen Passagen schlug das Herz aller Pferde schneller. Aber auch die Lautstärke der Fahrgeräusche hatte einen Einfluss auf die Herzfrequenz. Je lauter, desto höher war die Herzfrequenz. Da nach jeder «Transportaufregung» die Herzfrequenz binnen ein bis zwei Minuten wieder zurück in die Ruhefrequenz pendelte, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass fahrdynamische Prozesse und Fahrgeräusche nur einen kurzfristigen Stress für Pferde bedeuten.
Wie lange liegen Pferde?
Bei zwölf dreijährigen Hengsten wurde über 14 Tage das Liegeverhalten erfasst: wie lange sie liegen, in welcher Lage, die Dauer in Ruhehaltung, die Aufenthaltsorte sowie  die Lautäusserungen. Und das rund um die Uhr. Die durchschnittliche Liegedauer betrug 195 Minuten mit einer Schwankungsbreite von 70 Minuten. Die meiste Zeit verweilten die Hengste in Bauchlage. Nur durchschnittlich 37 Minuten sah man sie in Seitenlage. Ranghohe Hengste zeigten die kürzesten Liegezeiten. Die in der Rangordnung im Mittelfeld angesiedelten Tiere lagen am längsten. Die am Ende der Skala lokalisierten Tiere verweilten zwischen den beiden ersten Gruppen. Als Fazit zog die Arbeitsgruppe den Schluss, dass bei einer stabilen Gruppenzusammensetzung und ausreichend Liegefläche die Liegedauer des Pferdes durch den Rang weder positiv noch negativ beeinflusst wird.
Hufe reinigen zu mühsam?
Zur Pflege der Pferde gehört das zwar bei Reitern oft unbeliebte Reinigen der Hufe. Nicht zuletzt, weil durch die gebückte Haltung nahe am Pferd die Rückenbelastung für den Menschen und auch das Verletzungsrisiko hoch ist. In einer Studie der Universität Göttingen wurden daher Reiter bei der Hufpflege beobachtet und auch befragt. 67 Prozent der Pferde liessen sich den Vorgang gefallen. 31 Prozent legten die Ohren zurück und nur 1,3 Prozent versuchten gar zu beissen. Obwohl das Hufauskratzen im Durchschnitt nur 68 Sekunden dauerte, gab ein Grossteil der Befragten an, dass Hufauskratzen zu einer subjektiv empfundenen Rückenbelastung führe und ein hohes Verletzungsrisiko mit sich bringe. Ein neuartiger automatischer Hufreiniger könnte dabei Abhilfe schaffen. Den haben ebenfalls Wissenschaftler der Universität Göttingen getestet. Dieser Hufreiniger besteht aus einem 1,0 x 2,8 m grossen Gitterrost, unter dem rotierende Bürsten eingelassen sind, sodass diese beim Überschreiten den Huf von unten bürsten. Das erste Problem bestand darin, die Pferde daran zu gewöhnen. Kurze Borsten putzten zwar am besten, aber auch nicht sauber. Es zeigte sich, dass der Hufreiniger nur bedingt geeignet ist.

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