Von Heinrich Schaufelberger
Mit unseren drei Hunden bin ich auf einer zwar nicht geteerten, jedoch festen Fahrstrasse in relativ abgelegenem Gebiet unterwegs. Rechts eine Wiese, links eine recht steile Böschung. Von vorne galoppiert eine Reiterin in gestrecktem Galopp auf uns zu. Ich rufe die Hunde sofort zu mir, leine sie an und trete ganz an den Rand, in der selbstverständlichen Annahme, die Reiterin werde ihr Pferd in den Schritt parieren. Doch weit gefehlt. Sie prescht im Renngalopp an mir vorbei, 50 Meter dahinter folgt ihre Kollegin im gleichen Stil. Ob sie einfach das Pferd nicht im Griff hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Als Rösseler und Hündeler bin ich empört und entsetzt, zumal die Pferde klitschnass sind.
Eine Ausnahme? Keineswegs: Von meinem Bürofenster blicke ich auf das Trottoir einer breiten und schwach frequentierten Strasse, auf dem eine Reiterin mit einem Handpferd daherkommt. Eine Mutter mit Kinderwagen muss ihr auf die Strasse ausweichen.
Szenenwechsel gefällig? Leicht liessen sich Seiten füllen, die Aufschluss gäben über eine erschreckende Verluderung auf Kosten der Pferde, der Sicherheit allgemein, der Toleranz des Umfeldes, des Images der Rösseler und damit des gesamten von der Allgemeinheit unter Pferdesport subsummierten Umgangs mit Pferden. Leidtragende sind primär die Pferde und jene Menschen, die bereit sind, sich zumindest Grundkenntnisse für den Umgang mit Pferden anzueignen. Doch wie sind die anderen zu motivieren, wenn sie sich weder erfassen noch organisieren lassen? Diese Frage beschäftigt – nicht nur hierzulande – zu Recht Vereine und Verbände. Kommt es wie bei den Hundehaltern zu einem Pferdegesetz?
Es muss etwas geschehen
Tatsache ist, dass sich immer mehr Menschen mit Pferden abgeben, denen elementare Grundkenntnisse fehlen. Das widerspiegelt sich auch in Zahlen, die eindeutig belegen, dass das gute und klar strukturierte Grundausbildungs-Angebot von Organisationen unter dem Dach des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport (SVPS) immer weniger genutzt wird. Mit der Ausdehnung der Brevetpflicht im weit gefassten Bereich Pferdesport war zwar eine grosse Verbes-serung erreicht worden. Dem Grundübel jedoch war damit nicht beizukommen. Das Problem liegt ganz klar beim sinkenden Organisationsgrad bzw. bei der wachsenden Zahl von Leuten, die sich über den Sport nicht erfassen lassen. Wie aber sollen Ignoranten erfasst und einer tauglichen Grundausbildung zugeführt werden?
Das Problem ist beim Verband nicht erst seit heute ein Thema. «Es muss etwas geschehen», hält auf Anfrage der Präsident des SVPS, Charles F. Trolliet, fest. Es gehe einerseits um die Glaubwürdigkeit und das Image des organisierten Pferdesports, der das Pferd und sein Wohl in den Mittelpunkt aller Bemühungen stelle. «Andererseits wird der Bewegungsspielraum immer kleiner bei gleichzeitig wachsenden Anforderungen in den Bereichen Sicherheit und gegenseitige Toleranz.» Charles Trolliet verhehlt allerdings nicht, dass wohl noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sei, bis innerhalb des Verbandes und der angeschlossenen Organisationen ein Konsens über den einzuschlagenden Weg gefunden sei.
Flucht nach vorn
Der Gedanke an eine Flucht nach vorn mag unpopulär sein, kann aber zum Erfolg führen, wie die Initiative mit den Reitwegkommissionen vor Augen führt. Durch vordergründige Selbstbeschränkung liess sich so manches gesetzlich verfügte Reitverbot verhindern und erst noch Goodwill schaffen. Mit Erfolg haben verschiedentlich Vereine und Verbände auch eine staatlich verfügte Pferdesteuer abgewehrt, indem durch Fronarbeit und/oder jähr-lichen Unterhaltsbeitrag gangbare Lö-sungen gefunden wurden. Diese wie im Wettkampfsport, Tierschutz und -haltung ergriffenen Initiativen gingen alle von der organisierten, zu beeinflussenden «Pferdewelt» aus. Aus ureigenstem Interesse drängt sich deshalb auch für sie eine weitere Flucht nach vorn auf, die zum eigenen Vorteil alle Reiterinnen und Reiter erfassen würde, um auf diesem Weg allen eine Grundausbildung zukommen zu lassen.
Und wie könnte diese Verpflichtung erfolgen? Indem beispielsweise die organisierte «Pferdewelt» politisch darauf dringen würde, von Gesetzes wegen dieses Brevet zur Bedingung für jeden Auftritt mit dem Pferd auf öffentlichem Grund zu erheben. Ein revolutionärer Gedanke oder gar ein Eigentor für die Reiterei? «Keineswegs», sagt SVPS-Präsident Charles Trolliet, «doch braucht es an der Basis der organisierten Pferdewelt noch viel Überzeugungsarbeit.» In Anbetracht der laufend erfolgenden neuen Einschränkungen sei die Sensibilität für jede weitere «Reglementiererei» gewachsen.
Die Zeit drängt
Um nochmals auf den Hund zurückzukommen: Innert kürzester Zeit ist aus dem erholsamen Spaziergang mit einem oder mehreren Hunden eine dauernde Aufmerksamkeit erfordernde «Übung» geworden. Denn bereits eine kleine Rauferei zwischen Hunden kann zu grössten Konsequenzen führen, ganz zu schweigen von «Diskrepanzen» zwischen Menschen und Hunden, selbst wenn diese nicht mal medizinische Konsequenzen haben. Ein Zustand, den sich noch vor 15 oder 20 Jahren niemand hätte vorstellen können. Auch eine generelle Leinenpflicht wie im Kanton Schwyz oder die völlig willkürlich erstellte «Gefährlichkeitsskala» gewisser Hunderassen durch die Kantone (mit gravierenden Folgen) sind Auswüchse einer Hysterie, ausgelöst durch einen einzigen, allerdings tragischen Vorfall.
Nun, meines Wissens hat noch nie ein Pferd ein Kind zerfleischt. Was aber wären die Folgen, wenn die oben erwähnte Reiterin mit Handpferd auf dem Trottoir die auf die Strasse ausweichende Mutter mit Kinderwagen überrannt hätte, weil eines der Pferde in Panik geraten wäre? Dann hätten wir alle, die wir uns um eine taugliche Grundausbildung bemüht haben, genauso verloren wie alle seriösen Hundehalter, die nun mitzuleiden haben an der Inkompetenz (oder Ignoranz) eines Pitbull-Halters. Vorschriften sind offensichtlich unabdingbar. Wenn wir diese nicht erlasse oder zumindest ihren Erlass massgeblich beeinflussen, haben wir – das Beispiel Hunde zeigt es – innert kürzester Zeit das Nachsehen. Eine gut geplante Flucht nach vorn ist ein Gebot der Stunde.
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