In der Geschichte des Pferdes hat England schon seit langer Zeit eine ganz besondere und grosse Bedeutung. Der bevorstehende Brexit droht diese nun aber schwer zu gefährden. Für den Inselstaat war und ist ja auch heute noch der Austausch und Handel mit anderen Ländern überaus wichtig. Für diese Bereiche bestehen mit dem Brexit aber nicht nur für England selber, sondern auch für seine Partner in Europa grosse Probleme. Gemeinsam wurde darum in den letzten zwei/drei Jahren sehr engagiert nach Lösungen für die zukünftige Zusammenarbeit gesucht.
Von Hanspeter Meier
Grosse Sorgenkinder sind dabei die Zucht und der Sport mit Pferden. Die zwölf wichtigsten Organisationen dieser Branchen haben sich nun bereits beraten, um einem drohenden Einbruch entgegen zu wirken (Tabelle 1). Im Lauf dieses Sommers trat diese Arbeitsgruppe (International Horse Sports Confederation IHSC) dann mit der EU in Kontakt, und zwar mit Direktor Michel Barnier (Head of Task Force for Relations with the UK). Ingmar de Vos (FEI) und Louis Romanet (IFHA), die Vorsitzenden der IHSC informierten Herrn Barnier mit einem Schreiben vom 23. Juni, mit welchen Mitteln man den zu erwartenden Schwierigkeiten entgegentreten will. Dabei geht es natürlich vor allem um den Grenzübergang, der – wie uns allen bekannt ist – viele und diverse Formalitäten mit sich bringt.
Bis anhin jedoch, bereits seit den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts (und somit schon lange vor der Schaffung der EU) besteht für den Sport und die Zucht der Pferde zwischen England, Irland und Frankreich ein sogenanntes „Tripartite Agreement“ (dreiteiliges Abkommen). Dieses Abkommen, welches neu auch zwischen Frankreich und den Benelux-Staaten besteht, erleichtert den Grenzverkehr zwischen diesen Ländern für Sport, Zucht und Auktionen sehr. Voraussetzungen dafür sind einerseits der garantierte „high health status“ (guter Status der Gesundheit) wie auch verbindliche Angaben zur Identität und der Betreuung der Tiere. Diese Forderungen konnten bisher gut erfüllt werden, weil Impfungen, tierärztliche Aufzeichnungen und Meldungen über das Auftreten von Krankheiten vorgeschrieben sind, die Biosicherheit gemäss EU Animal Health Law beachtet wird und gemeinsame Strategien (codes of practice) für die Bekämpfung von Krankheiten erarbeitet und befolgt wurden (in diesen Bereichen ist die Pferdemedizin der Humanmedizin weit voraus). Anderseits werden verlässliche Daten zur Ausübung des Sportes gefordert. Letztere Anforderungen sind in England und Irland natürlich leicht zu erfüllen, sowohl wegen des gemeinsamen Gestütbuchs (Weatherbys) wie auch der harmonisierten Regeln im Rennsport; diese Daten dienen zudem der Verfolgbarkeit der Tiere. Ein weiterer sehr grosser Vorteil des Abkommens bestand bisher auch darin, dass jeder Bürger aus der EU und EEA für die Arbeit in der Vollblut-Zucht und im Rennsport in England für sich und seine Familie eine Aufenthaltsbewilligung bekam (bis Juni 2021).

Es ist in Anbetracht dieser vielen Anforderungen sicherlich klar, dass der administrative Aufwand für deren Erfüllung gross ist. Aber auch für deren Bewältigung wurde man schon vor geraumer Zeit aktiv und das weltweit verantwortliche Gestütbuch der Vollblutzucht (Weatherbys) schuf inzwischen einen digitalen Pferdepass (Abb. 1). Dieser ist in der Lage, jederzeit (24/7) und überall – z.B. bei einem Grenzübergang – die geforderten Daten zu liefern. Diese Voraussetzungen erlauben also zudem einen raschen sowie pferdefreundlichen Transit für die betroffenen Tiere. Die Einführung solch eines IT-Passes kommt weiter einer oft erwünschten und gelungenen „private public partnership“ unseres Pferdewesens mit den verantwortlichen staatlichen Autoritäten gleich.
Für die erfolgreiche Verwirklichung dieser Pläne ist es selbstverständlich nötig, die Anliegen der IHSC-Arbeitsgruppe zu begründen. Dafür dienen vor allem Zahlen aus dem Sport als Argumente, wo auf FEI-Veranstaltungen 2017 in Europa aufmerksam gemacht wird (Abb. 2). Weiter nimmt man Bezug auf Daten zum Austausch von Vollblütern zwischen Irland, England und Frankreich pro Jahr. Dies betraf 2017 insgesamt 20‘892 Pferde (der Verkehr zwischen der Republik und dem Norden von Irland mit 7000 Pferden nicht eingerechnet). Diese Zahl zeigt, dass im Tag durchschnittlich 57 Pferde die Grenzen überqueren. Falls man hier für die Abfertigung eines Pferdes 15 Minuten berechnet, so belaufen sich diese auf insgesamt mehr als 14 Stunden im Tag. Es ist klar, dass damit die Kapazitäten der Verzollung mit den heutigen Möglichkeiten nicht genügen können. Weiter ist zu beachten, dass an den Auktionen von Tattersalls in Newmarket jeweils mehr als die Hälfte der Pferde von einer EU-Nation kommt oder an eine solche verkauft wird. Bedeckungen im Ausland würden ebenfalls sehr schwierig, weil Zuchtstuten nur für 90 Tage im Hengst-Gestüt sein dürften.
Diese Zeit kann für eine Stute kaum genügen, wenn für sie die Geburt ihres Fohlens, die Bedeckung und die Kontrolle der Trächtigkeit bevorstehen.
Weiter machte die IHSC die EU darauf aufmerksam, welche Bedeutung die Pferdehaltung in der europäischen Landwirtschaft hat. Sie bietet ca. 210‘000 Arbeitsplätze und etwa 500‘000 indirekte Stellen mit Partnern (Hufschmiede, Sattler, Tierärzte etc.). Der Reit- und Fahrsport generiert im Jahr mehr als €50 Milliarden, der Rennsport etwa €20 Milliarden. In der Oekonomie der EU präsentiert der Pferdesektor einen Wert von €100 Milliarden, mehr als jedes andere landwirtschaftliche Unternehmen. In Europa rechnet man mit etwa 7 Millionen Equiden, die etwa 2,6 Millionen Hektaren Land bewirtschaften. Dabei ist besonders zu beachten, dass diese Nutzung des Landes extensiv ist. Die Pferdehaltung entspricht in diesem Sinne auch voll und ganz der gemeinsamen und umweltfreundlichen Agrarpolitik der EU (common agricultural policy CAP).
Die europäische Vollblutzucht (EFTBA) nahm inzwischen auch Kontakt auf mit den verantwortlichen schweizerischen Institutionen in unserem Pferdewesen. Diese wurden über das geplante Vorgehen informiert und einzelne wurden auch um ihre Ansichten und allenfalls nötige Hilfe gebeten. Einerseits betrifft dies bspw. das Zollwesen, anderseits unser Parlament, bzw. die Bundesverwaltung. Unser Land verhandelt bekanntlich ja nach wie vor über ein bilaterales Abkommen mit der EU, sowohl auf politischer, wirtschaftlicher wie auch kultureller Ebene. Man darf also hoffen, dass die Massnahmen für England und die Schaffung des digitalen Pferdepasses auch für unser Land und unsere Pferdeindustrie willkommene Verbesserungen ermöglichen.
Die 12 Organisationen, die zusammen mit der EU trotz Brexit einen tiergerechten Grenzverkehr für Pferde in Europa schaffen möchten:
IHSC | International Horse Sports Confederation |
FEI | Fédération Equestre Internationale |
EFTBA | European Federation of Thoroughbred Breeders‘ Associations |
EMHF | European & Mediterranean Horseracing Federation |
EEF | European Equestrian Federation |
FG | France Galop |
HRI | Horse Racing Ireland |
HSI | Horse Sport Ireland |
ISBC | International Stud Book Committee |
ITBF | International Thoroughbred Breeders‘ Federation |
Longines | Official Partner |
Weatherbys | Thoroughbred Stud Book |
Auf dem Hauptbild: Der digitale Pass von Weatherbys mit allen Details zum Pferd, die im Sport, in der Zucht und im Grenzverkehr bekannt sein müssen (Identität, Pedigree, Behandlungen, Impfungen, Standorte, Besitzer etc.).
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