Eine ganz wesentliche Bedeutung kommt den halben Paraden zu in der Arbeit mit Pferden, welche immer wieder versuchen, sich im Genick fest zu machen, sich auf die Hand zu legen und stärker gegen das Gebiss Druck auszuüben. Das sind in der Regel (Zahnprobleme und körperliche Beschwerden ausgenommen) Pferde, welche zu Beginn der Ausbildung überfordert wurden, oder Pferde, bei welchen in der Arbeit Grundsätzliches versäumt wurde oder wird. Wenn aufgrund dieser Versäumnisse die Kraft fehlt, ist das Pferd nicht imstande, Last aufzunehmen. Die Nachhand schiebt dann zu viel, weil sie nicht oder noch nicht dazu fähig ist, zu «tragen». Und wohin geht dieses Schieben mit der Nachhand? Eben nach vorne, gegen das Gebiss. Weil die Tragkraft der Hinterhand fehlt, kann sich das Pferd auch nicht am Gebiss abstossen und demzufolge nicht angenehm in der Hand werden. Stattdessen «legt es sich auf das Gebiss» oder es weicht nach oben aus und drückt gleichzeitig den Rücken durch.
Schneller ist nicht aktiver
Bei diesen Pferden ist es zwingend notwendig, diesen oft keineswegs feinen Druck gegen die Reiterhand und gegen das Gebiss mit ruhigem Sitz an der Hand stet auszuhalten. Auch dann, wenn dieser Druck nicht angenehm, sondern fest und manchmal sogar hart ist. Am Schenkel muss der Reiter bei angespanntem Kreuz die Hinterbeine des Pferdes gut heranbringen, sodass ein tätiges Untertreten, trotz verhaltender Zügelhilfen, gewährleistet ist. Nur durch das immer wieder erneute Aktivieren der Nachhand kann erreicht werden, dass dieselbe gekräftigt wird, um mit der Zeit Last aufnehmen zu können. In der Folge wird sich das Pferd am Gebiss abstossen und dadurch angenehm in der Hand werden. Bis es aber so weit ist, muss der Reiter über einen langen Zeitraum Geduld haben. Er muss den Unterschied zwischen «aktiv treten» und «schneller werden» genau kennenlernen, denn wenn das Pferd einfach nur schneller wird, wird das angestrebte Ziel nicht erreicht. Der Sitz des Reiters muss trotz energischer Schenkelhilfen ruhig und fest sein. Ab und zu wird es notwendig sein, den Sporn zu Hilfe zu nehmen. Aber nur zur unterstützenden Hilfe, nicht zur Strafe.
Nun ist es aber nicht so, dass es reicht, wenn der Reiter das Pferd am Schenkel auffordert, die Nachhand immer wieder lebhafter und aktiver treten zu lassen. Die Hand bleibt zwar wie erwähnt stehen, aber die halben oder die Einviertelparaden dürfen trotzdem nicht vergessen werden. Sie sollen unmittelbar nach den Schenkelhilfen erfolgen. Gleich darauf wird wieder die Nachhand zu aktivem Treten veranlasst und so fort. Dies muss alles mit Gefühl, aber auch mit Nachdruck passieren und vor allem muss der Reiter dabei geschlossen, ruhig und mit guter Körperspannung sitzen. Und er muss spüren, wenn das Pferd wunschgemäss reagiert, und dann muss er sofort seine Einwirkung weicher werden lassen. Jedoch schon bevor das Pferd damit beginnt, sich im Körper und im Genick erneut fest zu machen, muss vom Reiter wieder die Aufforderung am Schenkel zu lebhaftem Treten erfolgen. Diese Schenkelhilfen sollen aus aufmunternden Impulsen bestehen und nicht ein «klemmendes», stetes Drücken und Pressen sein. Die Schenkelhilfen sollen (wie alle Hilfen) nicht zaghaft, sondern deutlich gegeben werden. Der Reiter muss darauf achten, dass das Pferd auch darauf reagiert. Tut es das nicht, müssen diese Hilfen sofort stärker erteilt werden und aufhören, sobald sie die gewünschte Wirkung gezeigt haben. Je besser das Pferd ausgebildet ist, desto geringer können diese Hilfen dann sein.
Reaktionen spüren und verstehen
Beim «Spiel mit den Paraden» ist das Zusammenwirken der Hilfen (Sitz, Schenkel und Hand) der zentrale Punkt. Dabei ist ein fester Sitz das Wichtigste. Aus einem unsteten Sitz heraus können weder korrekte und wirkungsvolle Schenkelhilfen noch durchgehende halbe Paraden gegeben werden. In diesem Zusammenhang ist ganz allgemein zu sagen, dass es entscheidend ist, die Reaktionen des Pferdes auf die Hilfen genauestens zu spüren und richtig zu verstehen. «Das Spiel mit den Paraden» ist wie ein Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Reiter und Pferd. Wichtig ist, dass der Reiter dabei ruhig, deutlich und konsequent mit seiner Einwirkung und mit seinen Hilfen bleibt. Ist die Reaktion nicht so, wie es sich der Reiter gewünscht hat, muss er immer in erster Linie seinen Sitz und die Hilfengebung überprüfen. Eine Korrektur soll nicht beim Pferd beginnen. Es ist der Reiter, welcher in der Lage ist, etwas zu verbessern. Das Pferd kann nur reagieren.
Es gibt durchaus Reiter, welche der Ansicht sind, das Pferd könne dazu gebracht werden, dass es alleine, sozusagen selber arbeitet. Dieser Erwartung kann das Tier aufgrund seiner Wesensart nicht gerecht werden. Je nach Temperament gibt es natürlich Pferde mit viel Vorwärtsdrang, ohne dass der Reiter viel treiben muss. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie dabei arbeiten. Sie gehen eben nur aus eigenem Antrieb vorwärts.
Wenn es dem Reiter also gelingt, die Nachhand des Pferdes immer wieder zu aktivieren, dann ist es diesem mit der Zeit weniger möglich, sich nach vorne zu schieben und sich «auf das Gebiss zu legen», denn bei aktiver Nachhand muss das Pferd fleissig abfussen. Das auf dem Boden auffussende Hinterbein kommt durch dieses «fleissige Abfussen» schneller wieder vom Boden weg und hat somit «weniger lange Zeit», um am Boden «stehen zu bleiben und dadurch zu schieben». Das Treiben am Schenkel muss nachhaltig, aber mit dem notwendigen Gefühl erfolgen. Auch das Stehenlassen der Hand, aus welcher trotz dieses Stehenlassens halbe Paraden kommen müssen, will gelernt sein, damit es eben nur ein «Stehenlassen» ist und nicht ein «Ziehen» daraus wird. Gerade deshalb ist der geschlossene Sitz des Reiters enorm wichtig, das heisst, der Reiter darf die stete, lockere Anlehnung der Arme an den Oberkörper nicht aufgeben.
Die halben Paraden müssen im richtigen Moment erfolgen, der Reiter muss diese Momente fühlen lernen. Es müssen viele Übergänge geritten werden. Bei konsequenter, ruhiger Arbeit, bei welcher sich der Reiter viel Zeit nehmen muss, wird das Pferd damit beginnen, sich immer öfter «nach vorne loszulassen» und sich gleichzeitig zu entspannen.
Vor allem ist es wichtig, dass auch Schritt geritten wird. Wobei die Betonung auf «geritten» liegt. Es besteht ein grosser Unterschied, ob der Reiter sein Pferd im Schritt «gehen lässt» oder ob er dieses «im Schritt reitet». Beim «Gehenlassen» wird nichts verbessert (weder im Schritt noch im Trab und auch nicht im Galopp). Wenn der Reiter jedoch den Schritt konzentriert reitet, am ruhigen Sitz richtig auf sein Pferd einwirkt, die treibenden Schenkel und die Paraden zum richtigen Zeitpunkt nicht vergisst, wird er immer wieder eine Verbesserung in der Anlehnung und damit in der Durchlässigkeit seines Pferdes erreichen können.
Mit dem Schenkel, nicht
an der Hand
An der Rippenbiegung und der korrekten Stellung des Pferdes muss im Schritt und im Trab auf gebogenen Linien (grossen Volten, Schlangenlienien) immer wieder nachdrücklich gearbeitet werden. Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass diese Biegearbeit hauptsächlich am Schenkel und nicht nur mit der Hand geschieht. Einer Ermüdung des Pferdes kann begegnet werden, indem man nur kurze Reprisen verlangt und auch immer wieder auf der anderen Hand reitet.
So wird der Reiter mit der Zeit auch mit den halben Paraden immer besser «durchkommen». Versucht er jedoch, vorwiegend mit der Hand und am Zügel eine Korrektur durchzuführen, wird ein nachhaltiger Erfolg in jedem Fall ausbleiben.
Ganz allgemein ist auch zu sagen: Ein Pferd, welches keine Längsbiegung kennt, ist auch nicht imstande, halbe Paraden anzunehmen und diese «durchzulassen». Man muss viele Pausen machen in dieser Arbeit, denn das Pferd wird schnell müde werden und dann wird es noch mehr versuchen, nach vorne gegen die Hand zu gehen, um dort eine «Stütze» zu suchen. Der Reiter muss Geduld haben, er darf sich – trotz des Druckes des Pferdes nach vorne – nicht am Zügel festziehen. Mit korrektem «Zügel aus der Hand kauen lassen» muss der Reiter sein Pferd immer wieder zur Entspannung bringen. Dabei muss streng darauf geachtet werden, dass dieser längere Zügel nicht durchhängt. Der Reiter muss selbst hier die Anlehnung, den Takt sowie auch die Aktivität der Nachhand kontrollieren können.
Ein immer wieder aus der Nachhand gerittenes kurzes Zulegen, dies dann vor allem im Galopp, darf in der Arbeit mit dem Pferd nie vergessen werden. Dadurch wird die Nachhand ebenfalls gekräftigt. Dieses Zulegen trägt auch viel zur Entspannung und zur Losgelassenheit des Pferdes bei. Dies jedoch nur dann, wenn der Reiter das Pferd nicht einfach nur schneller laufen lässt, sondern versucht, dabei «zum Reiten zu kommen», und auch hier immer darum bemüht ist, das Pferd an den Hilfen zu haben, um dieses Zulegen kontrollieren zu können. Daneben ist es vorteilhaft, wenn mit dem Pferd vorerst hauptsächlich im Trab und im Schritt gearbeitet wird, bis eine Verbesserung der Anlehnung erreicht ist. In diesen beiden Gang-arten kann der Reiter die Bewegungen und die Reaktionen des Pferdes sowie seine eigene Einwirkung bewusster kontrollieren. Im Galopp neigt das Pferd naturgemäss noch mehr dazu, sich aus der Nachhand bei jedem Galoppsprung nach vorne gegen die Hand zu schieben.
Die halben Paraden erfolgen in der Regel am äusseren Zügel. Nach jeder Parade muss die Hand des Reiters wieder entspannt werden und beide Hände bleiben dann ruhig und stet bis zur nächsten halben Parade.
Noch schwieriger, als wenn Pferde gegen die Hand gehen, wird das Spiel mit den Paraden, wenn sich die Pferde hinter dem Gebiss verkriechen. Auf dieses Reiterproblem gehen wir im vierten Beitrag ein.
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