DNA-Untersuchungen, neue archäologische Funde und Erkenntnisse der Klimaforschung haben das Wissen über die Entwicklung der Pferde und ihre Beziehung zum Menschen verändert.
Von Viktor Horatczuk
Als gemeinsamer Vorfahre von Pferd und Mensch wird von den meisten Wissenschaftlern ein mausähnliches Wesen angesehen, ein Waldbewohner, der sich nach dem Aussterben der Dinosaurier (vor 66 Millionen Jahren) zur Vielfalt der heutigen Säugetiere ausdifferenzieren konnte. Etwa vor 56 Millionen Jahren, gleichzeitig mit einem erderwärmenden Klimawandel, entwickelten sich in den Wäldern Nordamerikas kleinwüchsige, pferdeähnliche Tiere allerdings noch mit einzelnen Zehen, wobei eine von mehreren Arten als direkte Vorfahrin der heutigen Equiden gilt. Dieser Vorfahre (equus) wanderte vor 2,6 Millionen Jahren, mit dem Beginn einer neuen Eiszeit über die damalige Landbrücke zwischen Alaska und Sibirien nach Eurasien.
Die Bejagung
Der erste Wendepunkt für Pferde und Menschen zeigt sich vor etwa 400.000 Jahren, als menschliche Jäger und Sammler die Vorzüge der Pferde als Jagdobjekt entdecken: mangels scharfer Zähne und Klauen sowie geringer Angriffslust waren sie relativ gefahrlos zu jagen. Bezogen auf heutige Rahmenbedingungen stellten erbeutete 350 kg Pferd ca. 200 kg Fleisch mit einem Nährwert von etwa 206.000 Kilokalorien das Überleben eines Mannes für etwa 40 Tage sicher (einer Gruppe von zehn Personen für etwa eine Woche). Ein archäologisch dokumentiertes Beispiel der Jagd auf Pferde findet sich in Schöning in Niedersachsen, wo zahlreiche Speere und Pferdeskelette gefunden wurden, die zwischen 400.000 und 300.000 Jahre alt sind. Es dauerte allerdings noch mehrere hunderttausend Jahre, bis die damaligen Menschen Pferdedarstellungen und Statuetten angefertigten: die frühesten dieser Artefakte werden in eine Zeit von 40.000 -35.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung datiert.
Die Domestizierung
Als zweiter Wendepunkt gilt die Haltung der Pferde als Haus- und Nutztier im Gebiet von Don und Wolga vor etwa 4200 Jahren, deren Zucht in den folgenden 1000 Jahren alle anderen Pferderassen verdrängte und von denen (equus caballus) alle heutigen Pferde abstammen. Diese Domestizierung fällt mit einer klimatischen Trockenperiode zusammen (die möglicherweise auch zu den gleichzeitigen politischen Zusammenbrüchen in Mesopotamien, Ägypten und Indien führte). Genetische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass das Zuchtergebnis stressresistentere Tiere mit stärkeren Rücken erbrachte. Als Reittier dürfte das Pferd um etwa 3000 v. Chr. erstmals verwendet worden sein, die Erfindung von Karren mit Speichenrädern erfolgte zwischen 2000 – 1800 v. Chr. Die erstaunliche Entwicklung der alten Reiche, Mesopotamien, Ägypten, Indien und China – später Persien, Makedonien und das Römische Imperium – sind ohne die Kraft und Schnelligkeit der Pferde nicht denkbar. Aus dieser Periode, dem 14. Jht. v. Chr., stammt auch das älteste bekannte Werk über Training und Pflege von Wagenpferden vom mitannischen Stallmeister Kikkuli. Eine der ersten überlieferten Reitlehren ist jene des griechischen Philosophen und Feldherren Xenophon (ca. 426 – ca. 355 v. Chr.) der sich in offensichtlichem Gegensatz zu den Gepflogenheiten seiner Zeit für eine weitgehend gewaltfreie Ausbildung der Pferde einsetzte; die von ihm dargelegten Grundsätze sind bis heute gültig. In seinem Asienfeldzug ab 334 v. Chr. verfügte Alexander der Grosse bereits über eine Kavallerie von ca. 5000 Reitern.
Auch bei den mongolischen Völkern ist das Pferd immer noch zentraler Teil der Kultur sowie Fortbewegungsmittel. © Can Stock Photo / tomas1111
Die Steigbügel wurden um etwa 50 v. Chr. in Indien in Form von Schlaufen erfunden, entwickelten sich danach in China und kamen über die Awaren nach Europa. Ihr Gebrauch dürfte sich hier ab etwa 600 n. Chr. durchgesetzt haben. Der Name „Pferd“ ist im deutschen Sprachraum seit dem neunten Jahrhundert bezeugt und leitet sich vom spätlateinischen Namen für ein Kurierpferd, paraverēdus, her. Das Stammwort verēdus ist keltischen Ursprungs.
Fast während der gesamten 6000 Jahre der Kooperation (eher sklavenähnlichen Haltung!) zwischen Menschen und Pferden war die Verwendung dieser Tiere nur einer kleinen Elite vorbehalten: die Bauern verwendeten hauptsächlich Ochsen als Zugtiere, Pferde kamen lediglich in geringer Stückzahl bei der Übermittlung von Nachrichten und beim Militär sowie beim Adel zum Einsatz. Ochsen sind als Zugtiere für landwirtschaftliche Geräte etwas stärker als vergleichbare Pferde. Ochsengespanne sind zwar langsamer, allerdings benötigen Sie kein Kraftfutter und sind somit kostengünstiger zu halten. Es bewirkten jedoch auch die relativ wenigen Pferde gewaltige geschichtliche Umbrüche: die wiederkehrenden Angriffe der asiatischen Reiterscharen. Es waren dies jeweils zwischen ca. 15.000 und 25.000 Reiter der Hunnen, Awaren, Ungarn und Mongolen. Die operative Einheit bestand aus etwa 10.000 Reitern; der Weidebedarf pro Pferd/Tag beträgt ca. 50 m2 oder ¼ bis ½ ha, somit für 10.000 Pferde ca. 50 ha oder ca. 71 Fussballfelder, woraus sich ergibt, dass diese Heerzüge auch aus logistischen Gründen immer in Bewegung bleiben mussten. Diese Angriffe aus dem Osten waren eine der Ursachen der Völkerwanderung und somit des Zusammenbruchs des Römischen Reiches. Pferdefleisch war nach wie vor ein wesentliches Nahrungsmittel, insbesondere auch als germanische Opferspeise, sodass Papst Gregor III im Jahre 732 die „heidnische Gewohnheit“ des Genusses von Pferdefleisch verbot. Sie blieb bis Mitte des 19. Jahrhunderts aufrecht.
Die europäische Agrarrevolution
Sie führte zum dritten Wendepunkt. Ab dem neunten Jahrhundert n. Chr. (nachdem ab dem siebten Jahrhundert das Klima in Mitteleuropa zunehmend wärmer und niederschlagsreicher geworden war) setzte sich das Pferd als Zugsmittel in der Landwirtschaft und im Handel in Mittel- und Nordeuropa nach der Einführung der Dreifelderwirtschaft, dem vermehrten Anbau von Roggen und Hafer und der Erfindung eines brauchbaren Kummets allmählich durch. Das Pferd war als Zugtier schneller als Ochsen aber nur geringfügig schwächer und konnte am Tag ca. 2 Stunden länger eingesetzt werden. Als bevorzugte Zuchtrasse entwickelt es sich das grosse und schwere Kaltblutpferd. Militärisch konnten sich nun die europäischen Panzerreiter entwickeln, die den Einfällen asiatischer Reitervölker ein Ende setzten. Die Kraft und Schnelligkeit des Pferdes in Verbindung mit einem enormen Anstieg der Bevölkerungszahlen und der frühindustriellen Nutzung der Wassermühlen führte zu einer positiven Sonderentwicklung gegenüber den gleichzeitigen agrarischen Revolutionen in China, Byzanz und den islamischen Ländern. Bis in das 17. Jahrhundert bestand die durchschnittliche Tagesleistung europäischer Pferde bei 40 km Marschdistanz. Durch das Einkreuzen asiatische Pferderassen konnte ab dieser Zeit die durchschnittliche Tagesleistung auf über 60 km gesteigert werden.
Pferde sind in ärmeren ländlichen Gegenden immer noch wertvolle Arbeiter, dieses aktuelle Bild stammt aus Littauen. © Can Stock Photo / Vaida_P
Die Hölle für Pferde im 18. und 19. Jahrhundert
Erst die aufkommenden Massenheere ab dem 18. und die Entwicklung von Grossstädten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts führten zur Zucht des modernen Pferdetyps für den militärischen Bedarf: schnell und hochgewachsen. Im 19. Jahrhundert erreichte die Anzahl der Pferde weltweit die höchste Zahl (mehrere 100 Millionen gegenüber ca. 80 Millionen heute), allerdings auch höchstes Leid in den zahlreichen Kriegen und in den verrauchten und stinkenden Städten. So verendeten im Russlandfeldzug Napoleons ca. 50.000 Pferde und von den etwa 3 Millionen Pferden, die in der deutschen Wehrmacht verwendet wurden, überlebte den Zweiten Weltkrieg weniger als die Hälfte. Leider entwickelte der Franzose François Baucher (1796 – 1873) passend zu den militärischen Bedürfnissen eine Dressurmethode, die das Pferd als Maschine betrachtete und auf deren Gesundheit keine Rücksicht nahm. Er spaltete die Ansichten zur Ausbildung der Pferde bereits zu seiner Lebzeit in zwei Lager, die bis heute erhalten geblieben sind: die berühmte französische Militärreitschule Cadre Noir folgt Baucher, während sich die Wiener Spanische Hofreitschule den sanfteren Methoden des Franzosen François Robichon de la Guérinière (1688 – 1751) verpflichtet fühlt. Dieser Tradition folgte auch der berühmte deutsche Reitlehrer Eduard Gustav Steinbrecht (1808 – 1885), auf den sich alle modernen deutschen Reitlehren zurückführen lassen.
Napoleons Feldzüge sowie der zweite Weltkrieg forderten neben Menschenleben auch das Leben unzähliger Pferde. © Can Stock Photo / Ant
Vom Gebrauchs- und Nutztier zum Sportkameraden
Als vorerst letzten Wendepunkt lässt sich die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg festlegen, als durch den Umstieg auf Motorkraft die Verwendung von Pferden weitgehend unwirtschaftlich und ineffizient wurde. Das Selbstverständnis zum Pferd wandelte sich beim Grossteil der Menschen vom Gebrauchs- und Nutztier zum Sport- und Freizeitkameraden. Moderne Rechtsordnungen normieren die Beziehung der Menschen zum Pferd durch die verpflichtende Beachtung des Tierwohls. Die diversen Plattformen der Tierärzte, international die World Equine Veterinary Association, bringen einschlägige wissenschaftliche Studien rasch zu den Bedarfsträgern. Auch die Erkenntnisse aus dem Bereich der Biomechanik der Bewegung, das derzeitige System der stufenweise zu absolvierenden Prüfungen und die moderne Ausbildung zum Reitlehrer bzw. für den Bereich der Pferdewirtschaft hat zur Verbesserung der Situation der Freizeitpferde in Europa beigetragen. Damit wurden auch grosse Anstrengungen unternommen, die Missstände, die sich aus der zunehmenden Kommerzialisierung und Ausweitung der Freizeitreiterei ergaben, zu minimieren.
In der heutigen Welt ist das Pferd fast ausschliesslich Sport- und Freizeitpartner. © Can Stock Photo / Novic
Auf dem Hauptbild: Pferdemalerei aus der Höhle von Lascaux, Frankreich, vor ca. 15.000 – 10.000 Jahren.
Dieser Artikel erschien zuerst in der «Kavallo»-Ausgabe 04/2022. Sämtliche Urheberrechte bleiben vorbehalten.